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Hier kommen die Filmbeschreibungen und (Ost-) Kritiken

von Gert Redlich im April 2021 - Sollten Sie hier über eine Suchmaschine eingelandet sein, beginnen Sie bitte auf der Hauptseite mit den einleitenden Absätzen zu Erläuterung von Quelle und Epoche.

Diese Texte und Propaganda-Sprüche aus 1972 stammen alle aus Ost-Publikationen, vornehmlich aus dem SED Zentralorgan "Neues Deutschland".

Darum sind die Texte mit Bedacht zu lesen und zu bewerten. So gut wie jeder Text soll inhaltlich die sozialistische Doktrin transportieren und untermauern, sebst wenn sich später - im Jahr 1989 - so gut wie alles als nicht realisierbar oder gar als vollkommen falsch herausgestellt hatte.

Filme aus der DDR - Eine leseunfreundliche Buchstabenwüste

Es gibt nur ein einziges Fotos - auf der Titelseite vorne drauf. Innen drinnen folgen ganze Seiten fortlaufend ohne irgend eine Absatz-Überschrift. Die Überschriften habe ich nachträglich eingefügt, um das Lesen zu erleichtern. Viele Absätze können Sie überblättern - ohne viel zu versäumen.

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Artikel 6 (Filmbeschreibungen) ab Seite 13
ABSCHIED

DDR 1968. Produktion: DEFA, Künstlerische Arbeitsgruppe ffBabelsbergff. Regie: Egon Günther. Buch: Egon Günther, Günter Kunert, nach dem gleichnamigen Roman von Johannes R. Becher. Kamera: Günter Marczinkowski. Darsteller: Jan Spitzer, Rolf Ludwig, Katharina Lind, Doris Thalmer, Heidemarie Wenzel, Annekathrin Bürger, Mathilde Danegger, Manfred Krug, Rolf Römer, Helmut Schreiber
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Anders werden

Gespräch mit dem Regisseur Egon Günther
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Günther:

Das Anderswerden, der schwierige Weg des Hans Gastl, anders als seine bürgerliche Umwelt zu werden, ist das Herzstück des ganzen Unternehmens. Daraus erklärt sich auch die Haltung Hans Gastls zu diesen drei Beziehungspunkten Elternhaus-Schule-Freundeskreis. Mit dieser, wie Sie es nennen, teilweise neuen Sicht soll dieses Streben Hans Gastls akzentuiert werden. Würde man die Fabel des Romans und des Films erzählen, würde dieses Anderswerden das Bestimmende sein.
Der Film "Abschied" bedient sich dazu vieler Mittel, die ich hier nicht aufzählen will, um nicht in Urteile einzugreifen.

Sonntag:

Die Hauptfigur des Buches, Hans Gastl, ist bemüht, sich von seiner kaisertreuen bürgerlichen Umwelt zu lösen. Im Roman werden für diese Bemühungen des Helden um ein "Anderswerden" auch Symbole - wie das Jugendbild der Mutter, das Bild des Großvaters, das Vorbild der freidenkerischen Großmutter - genutzt. Sie haben diese Bildnisse für etwas (nämlich anders zu sein), die Hans Gastls Fortstreben aus seiner Gesellschaft mit verdeutlichen, kaum angedeutet.
Warum?
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Günther:

Ich konnte keinen Nutzen darin sehen, zum Beispiel das Jugendbildnis der Mutter, auf einer Staffelei stehend, besonders ins Bild zu setzen und vorzuführen. Kein Mensch, glaube ich, würde auf den Gedanken kommen, das soll heißen: so wollte die Mutter immer sein, aber wie ist sie jetzt? Bilder reden nicht. Ich mißtraue solchen Begriffen wie Bildsprache. Symbolen mißtraue ich auch. Wenn ich solche Mittel angewendet sehe, habe ich immer das Gefühl, da hat es jemandem die Sprache verschlagen. Komplizierte Sachverhalte werden ohne Sprache nicht verständlicher. Bilder sind vage. Sie können ganz andere Dinge als reden.

Man sollte ihnen nicht zumuten, was sie nicht können. Das mag, abgesehen von diesem konkreten Beispiel (Ölbild der Mutter auf der Staffelei im Salon), auch für bewegte Bilder gelten. Es könnte interessant sein, in diesem Zusammenhang Lessings "Laokoon" wieder zu lesen. Daß Film vorwiegend Bild sei, wenn das hier angeschlossen werden darf, ist vielleicht nur von Buch zu Buch und von Jahr zu Jahr weitergeredet worden. Was oft gesagt wird, sieht leicht wie ein Gesetz aus. Ich finde aber, es läßt sich kein Gesetz dieser Art formulieren.
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Sonntag:

Im Falle des Schulfreundes Löwenstein gehen Sie so weit, Verhaltensweisen zu ändern. Ebenso fügen Sie scheinbar außerhalb des Romans stehende Handlungen ein, wie den Todschlag des Serben bei Kriegsausbruch.

Günther:

Becher erwähnt im Roman, daß fanatisierte Passanten plötzlich ausländisch aussehende Leute als feindliche Spione verdächtigten und verfolgten. Um die Kriegshysterie und den nationalen Chauvinismus in Deutschland zu zeigen, erschienen diese Textstellen Günter Kunert und mir als sehr brauchbar, um daraus eine Szene zu schreiben.

Außerdem fielen mir beim Drehen immer wieder solche Begriffe aus der Nazizeit wie "Fremdarbeiter" ein oder das unsägliche Wort "Gastarbeiter", mit denen in der westdeutschen Bundesrepublik der Normalmensch und Deutsche vom anderen unterschieden wird.

Immer wieder fand ich, wie weit Bechers Roman über sich hinausweist, die Nazizeit mitmeint und künftige Zeiten auch, falls diese deutsche Vergangenheit nicht erledigt wird. Besonders beim Arbeiten an solchen Szenen war ich mir bewußt, keinen historischen Film zu machen.

Im Roman geht Löwenstein nicht in den Krieg. Im Film tut er es. Löwenstein, ein Jude, fährt an die Front, weil die eigene Mutter, sagt Becher, dem Sohn gedroht hat, er solle ihr nicht mehr unter die Augen kommen, wenn er sich nicht freiwillig melde.

"Wir Juden wollen uns nicht nachsagen lassen, wir seien keine guten Deutschen." - Unsere Lösung fanden wir besser, weil die Nazis später die Juden vergast haben, auch Kriegsteilnehmer 1914/18, und weil das vielleicht vergessen wird.
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Sonntag:

Übernahmen Sie den Handlungsteil zwischen Hans Gastl und dem Mädchen Fanny vollständig in den Film?
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Günther:

Gastl will anders werden. Er will auch woanders hin. Alles erscheint ihm besser, wenn es nur anders ist als dieses Elternhaus, dieser Vater, diese Welt, diese Klasse.

Im Film gibt es Flucht-Wunschbilder: andere Straßen, Geleise. Gastl fliegt aus dem Fenster, fliegt über einer schönen Landschaft. Das alles soll seine Sehnsucht beschreiben. Und dazu gehört auch, daß Gastl andere Menschen sucht, Hartinger, Xaver, Löwenstein, sich enger an das Hausmädchen Christine anschließt als an Vater und Mutter, und schließlich auch Liebe sucht bei der Zigarettenverkäuferin Fanny, was er von Haus aus gewiß nicht soll.
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Ohne die Liebesgeschichte kleiner zu machen oder etwa das Erotische in ihr aufzugeben, sollte auch diese Seite deutlich werden: Fanny ist für Gastl eine Möglichkeit für Liebe, aber auch eine Möglichkeit für Flucht. Sie sagt ihm, daß auch sie dem allen entfliehen möchte. Gastl fühlt sich verstanden, bestätigt.

Aber Gastl bringt auch in Erfahrung, daß Fanny sich verirrt hat und unter Ausweg nur den Tod versteht. Fanny ist für Gastl eine wichtige Station in diesem langen Abschied. Über ihren Tod gehen der Gastl des Romans und der Gastl des Films merkwürdig leicht hinweg, aber das scheint mir nicht auf Oberflächlichkeit eines Charakters hinzudeuten, eher auf Stärke. Kurz: Die Fanny-Novelle ist wesentlicher Bestandteil des Romans. Der Film richtet sich danach.
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  • Anmerkung : Man könnte über den Hintersinn dieser Szenen spekulieren, hier wird suggeriert : Lieber gleich in den Tod gehen, als die DDR als Republikflüchtling verlassen zu wollen und auf dem Todesstreifen der innerdeutschen Grenze zu enden (..... den es 1972 natürlich gar nicht gab).

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Sonntag:

Noch eine Frage nach Traum und Wirklichkeit sowohl im Buch als auch im Film. Hier, bei dieser Episode, überschneiden sich diese beiden Ebenen besonders. Glauben Sie nicht, daß diese Technik Verwirrung beim Publikum auslösen wird? Denn es ist fraglich, ob jeder Filmbesucher den Roman "Abschied" kennt.
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Günther:

Man kann die Szenen mit Fanny und Gastl als Traum ansehen oder deuten, man kann es auch bleiben lassen. Meinerseits hätte ich anzubieten, diese Szenen als Sketch für zwei Schauspieler und eine Kamera anzusehen, oder als Pantomime für zwei Schauspieler und eine Kamera nach einer Musik von Paul Dessau.

Ich bestreite nicht etwa, daß sich Traum und Wirklichkeit durchdringen mögen. Ich meine nur, daß solche Feststellungen nichts besagen. Psychologie im Roman mag angehen, Filme sollten nicht psychologisieren, deshalb würde ich diese Szenen auch nicht psychologisch zu erfassen suchen. Traum als Über- oder Unterwirklichkeit, das interessierte mich nicht sehr.

Ich fand, daß Becher in dem Roman mit dem Todesgedanken umgeht. Hans Gastl erscheint der Tod ein paarmal als Ausweg, um endlich weit weggewiesen zu werden. In einem, wenn man will, Sketch über das Thema: Vom Unsinn des gemeinsamen schönen Sterbens - dachte ich, kann ich das am unterhaltsamsten zeigen.

Ob ich nicht glaube, daß diese Technik Verwirrung beim Publikum auslösen könnte? Es wird ja nicht gleich so sein, daß die Verwirrung Zuschauer von den Sitzen hochtreibt und sie kopflos und verwirrt die Ausgänge suchen läßt.
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Sonntag, Nr. 36/1968, 8.9.1968 - Das Gespräch führte Gisela Schöne
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Über den Inhalt des Films:

Ein junger Mann von achtzehn Jahren verläßt sein Elternhaus für immer. Warum? Weil er werden soll wie die andern, wie sein Vater, korrupt, gebrochen, untertänig, willfähig, abgerichtet, um mitzumachen, am deutschen Wesen die Welt genesen zu lassen.

Ihn dahin zu bringen, gibt sich das Elternhaus Mühe. Der Vater verprügelt ihn so gut er kann, läßt ihn in einer Erziehungsanstalt drillen, nennt die erste Liebe des Jungen eine Hure und will ihn zwingen, als das Mädchen ermordet wird, sich bei der Obrigkeit politisch anzubiedern. Am Ende schlägt der Vater dem Sohn vor, er werde alles vergessen, was der Sohn ihm angetan habe, alles sei gut,
wenn sich der Sohn als Kriegsfreiwilliger, wie alle guten Deutschen, zu des Kaisers Fahnen begebe. Daherbrausen werde man wie die Hunnen, Paris erobern, Petersburg sei überhaupt nur ein Spaziergang.

Mit dem Satz "Ich mache euern Krieg nicht mit" bricht der Sohn endgültig mit dem Vater und der Welt dieser Väter, die faschistisch war lange vor Hitler. Der junge Hans Gastl will anders werden. Er will den schwierigen Weg der Erkenntnis gehen. Freunde helfen ihm.

Johannes R. Bechers Roman "Abschied" ist in diesem Film kongenial umgesetzt worden. Es wurde nicht vergessen, daß die Tragödie der deutschen Bourgeoisie auch eine deutsche Komödie ist. Freilich, Gelächter und Lachen werden dem Zuschauer manchmal im Halse steckenbleiben. Kein historischer Film. Ein Film, 1968 gedreht, für Zuschauer von heute.

  • Anmerkung : Natürlich wird mit keinem Wort erwähnt, daß sich diese Obrigkeitsdenke des 1. und 2. Kaisereiches und der 12jährigen NAZI-Zeit (dem 3. Reich) in der SBZ / Ostzone / DDR wiederholte, obwohl es dort immer wieder anders dargestellt wurde.

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Dorniger Weg zu neuen Ufern

Zu Johannes R. Bechers 10. Todestag
DEFA-Film nach des Dichters autobiographischem Roman "Abschied" - Von Helmut Ullrich
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"Abschied" ist das bleibende Dokument einer Epoche.

Dieser Roman nun als Film der DEFA, zum 10. Todestag Johannes R. Bechers uraufgeführt. Ein guter Film, ein wichtiger Film. Denn in ihm wird mehr gegeben als eine übliche Literaturverfilmung.

Regisseur Egon Günther und sein Mitdrehbuchautor Günter Kunert haben die Romanhandlung aufgebrochen, erzählen die Geschichte des jungen Gastl von ihrem Ende her, von dessen Entschluß, sich dem nationalistischen, militaristischen Taumel des August 1914 entgegenzustellen, den Krieg nicht mitzumachen, sich nicht als Kriegsfreiwilliger zu melden, das Elternhaus zu verlassen.

Alles, was vorher war, wird nun vom Ergebnis her verstanden, von einer Entscheidung, in der gefühlsmäßiges Aufbegehren, Verwirrungen, unbestimmte Sehnsucht, Torheiten, aufblitzende Einsicht zum ersten Male zu klarer Bewußtheit werden.

Erstaunlich bleibt, wie trotzdem sehr viele Situationen des Romans mit absoluter Treue bewahrt sind und wie im dramatischen Neuaufbau der Gastischen Entwicklung das Anliegen Bechers konzentriert wiedergegeben wird. Und doch ist das emotionelle Klima des Films ein wesentlich anderes als das des Romans; wo bei Becher in den Empfindungen des jungen Gastl noch einmal etwas vom exaltierten Pathos des Expressionismus auflebt und ein schmerzerfüllter Zorn bestimmend ist, vermittelt der Film eine eigentümliche Legierung von satirischer Ironie und jugendlicher Sensibilität.
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Ein ostzonaler Cinemascope Film in "Totalvision"

Es gibt da viele Passagen, in denen die eindrucksvollsten optischen Formeln (hinter der "Totalvisions"kamera ["Totalvision" war das geklaute Patent aus Amerika, weltweit als "Cinemascope" lizenpflichtig im Einsatz] stand der einfallsreiche und feinfühlige Günter Marczinskowsky) für den Zusammenstoß eines reifenden jungen Menschen mit einer feindlich starren Umwelt gefunden sind.

Es wird, ohne in eine pedantische Rekonstruktion zu verfallen, das Zeitkolorit von damals prägnant erfaßt. Es finden sich immer wieder Einfälle der Filmschöpfer, in denen, über die subjektive Widerspiegelung seiner Welt in dem jungen Gastl hinausgehend, das Wesen jener Zeit zugespitzt gegeben ist, am Anfang etwa schon mit dem Lied von Lippe-Detmold, wo die Militarisierung des ganzen Denkens und Fühlens eines Volkes durchschaubar gemacht ist.

Die Verfilmung von "Abschied" zeigt sehr schöne Beispiele einer aufgelockerten, echt filmischen, assoziativen Erzählweise, vor allem in seiner ersten Hälfte, und ist darin in bestem Sinne modern. Neben diesen geschickten Montagen wirken die Szenen, die zu sorgfältig und ausführlich, etwas theatermäßig auch, arrangiert sind, weniger kraftvoll im Ausdruck; konsequenter hätte diese sprunghaft fragmentarische Erzählweise mit ihren trefflich genutzten expressiven Möglichkeiten doch wohl durchgeführt werden müssen.

Doch ist dies wohlgemerkt ein Einwand, der nur im Zusammenhang mit der nachdrücklichen Anerkennung des hohen künstlerischen Niveaus dieses Films seinen richtigen Stellenwert hat.

Ebenso wie ein anderer Einwand, der gegen die Gestaltung von Gastl senior durch Rolf Ludwig; dieser virtuose Schauspieler bietet hier zwar enorme komödiantische Kabinettstückchen, aber die Karikatur, die er gibt, läßt den Herrn Staatsanwalt in all seiner Beamten- und Bourgeoisborniertheit doch sehr eindimensional erscheinen, nur noch lächerlich, nicht mehr gefährlich.

Über die Darsteller

Sonst muß den Darstellern und ihrer Führung durch die Regie höchstes Lob gezollt werden. Jan Spitzer zeichnet als Hans Gastl die intensive Suche eines sensiblen jungen Menschen nach Lebensinhalten sicher nach, dessen Unfertigkeit auch, dessen Schwanken, und die Unbedingtheit des Willens zum Anderswerden.

Heidemarie Wenzel spielt mit jugendlicher Frische die Fanny, das lebensenttäuschte leichte Mädchen, in dessen Armen Hans Gastl ein flüchtiges Glück findet, gibt sie in der verklärten Sicht, in der sie ihr junger Liebhaber sieht, mit einer schönen erotischen Ausstrahlungskraft.

Die Liebe dieser beiden gehört zu den besten Szenen des Films, in der ironiedurchbrochenen Zartheit und Zärtlichkeit, mit der hier das Finden zweier nach Liebe und Verstehen suchender Menschen betrachtet wird, und das Gedankenspiel des gemeinsamen Selbstmords wird, begleitet von einer Komposition Paul Dessaus, zu einem tänzerisch leichten Tagtraum-Intermezzo, zu einer reizvoll graziösen Groteske.

Ein Film vom Anderswerden, ein Film vom Werden einer jungen Persönlichkeit im Anderswerden. Die Grundidee von Bechers Roman ist sicher erfaßt; die Reminiszenz an eine in die Ferne rückende Zeit und deren Gedanken, Gefühle, Gefährlichkeiten, Hoffnungen offenbart ihre Allgemeingültigkeit.

Neue Zeit, 11.10.1968
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Ein stetes Anderswerden

Zur Premiere des DEFA-Films "Abschied" nach dem Roman Johannes R. Bechers Von Rainer Kerndl

"Abschied" ist ein sehr bemerkswerter Film geworden. Er ist es nicht zuletzt seiner filmästhetischen Eigenständigkeit wegen. Er illustriert nicht ein hervorragendes Buch: Er formt mit ihm gemäßen Mitteln und einem fast strengen Stilwillen den geistigen Gehalt des Romans - und natürlich dessen Figuren, dessen Situationen, dessen Milieu

Dieser Beginn verrät bald, daß er mehr bedeutet als ein formaler Einfall. Er ist das Prinzip, nach dem der Film die Geschichte Gastls erzählt. Damit findet er einen prägnanten Stil, den er auch konsequent und gekonnt durchhält. Daraus ergeben sich aber auch reduzierende Auswirkungen auf die geistige Opulenz, auf die dialektische Vielschichtigkeit der literarischen Vorlage.

Alles, was der Film zeigt, jede Episode, jede Reflexion, jede Szene wird zitiert zur moralischen Rechtfertigung, zum Beweis für die Notwendigkeit der Konsequenz: des Abschieds, des Bruchs mit allen und allem. Die Bilder aus Kindheit und Jugend, nicht chronologisch ablaufend, sondern nach der inneren Logik von Gastls Bewußt-werdung geordnet, sind unter den Aspekt der bereits vollzogenen Entscheidung gestellt. Damit erfahren Menschen wie Milieu schon durch die Gesamtkonzeption - und sehr folgerichtig in der Ausführung - eine Wertung, die eigentlich vorweggenommen ist, vorweggenommen für das Suchen Hans Gastls.
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Ein sicherlich gerechtfertigtes Lob auf das neue Breitbild

Das führt zu großartigen Bildeinstellungen und Szenenführungen: wenn die Zöglinge der Erziehungsanstalt, vor einem großen Kruzifix auf den Bänken stehend, einen Choral schmettern, wobei sie in Haltung und Gestik mehr Zynismus als Andacht äußern, dann wird im harten Schwarz-Weiß des Bildes die ganze Widersprüchlichkeit und Sinnlosigkeit eines seelenlosen "Erziehungssystems" transparent.

Wenn die Trennungsworte zwischen Gastl und dem freiwillig einrückenden Löwenstein auf dem Bahnhof im Lärm des militärischen Spektakels verlorengehen, bleibt nur noch - und soll es - die offenbar werdende Fragwürdigkeit der Jugendideale; wenn die eben noch wild schwadronierenden Stammgäste im Cafe Stefanie vom vaterländischen Rausch des Kriegsausbruchs in ehrfurchtsvoll erstarrende "Patrioten" verwandelt werden, wird die Untaug-lichkeit ihres scheinrevolutionären Gebarens deutlicher, als weitschweifige Dialoge es sagen könnten.

und auch seichte Kritik

Nicht gelungen allerdings scheint mir die filmische Umsetzung einiger Reflexionen Gastls, etwa beim Versuch, den "schönen Tod" mit Fanny visionär auszudrücken. Die hier verwendete Zeitlupentechnik führt die Bildwirkung in die Nachbarschaft von Edelkitsch. Die ironische Distanzierung von solcherart Selbstmord-Melancholie, die da womöglich beabsichtigt war, stellt sich keineswegs ein.

Mit großer Prägnanz sind die Rollen geschrieben und gespielt worden. Allerdings führt die bereits erwähnte Konzeption des Films, alles aus dem Aspekt der bereits vollzogenen Entscheidung zu sehen und von vornherein moralische Wertungen deutlich zu machen, zu einigen subjektiven Verarmungen von Figuren und zu ironisch-satirischen Ab-Wertungen.

Eigentlich wird durch diese Einengung der Figuren auf bloße Typen, auch wenn sie großartig genau und prägnant gespielt werden, und das werden sie, die Größe der Entscheidung Gastls um einiges verkleinert: Diese Menschen können ihm keine Alternative geboten haben, zu ihnen kann es kaum Bindung gegeben haben.

Die Ironie treibt oft bis zur Satire. Der vom Film aufgetane Blick auf Menschen und Situatione ist ein Urteil, genauer: ist die mit eindrucksvoll gehandhabten filmkünstlerischen Mitteln vollzogene Verurteilung einer verabschiedenswürdigen Gesellschaft.

Neues Deutschland, 14. 10. 1968

  • Anmerkung : Und bei der Premierenbeschreibung noch kein Wort davon, daß der Film ganz kurz nach der Premiere aus den Kinos verschwand, für immer. Der Regisseur Egon Günther hatte nach vielen Querelen in 1978 die Ostzone in Richtung West-Berlin "verlassen". Über das "Wie" habe ich bislang nichts gefunden.

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Maßstab ist das Werk des Dichters

Leser schreiben zur Verfilmung von "Abschied":

Im Rahmen unserer monatlichen kulturpolitischen Gespräche besuchten wir gemeinsam den Film "Abschied". In der anschließenden Diskussion kamen wir zum Ergebnis, daß der Film Widersprüche aufweist.

Ausgangspunkt unseres Gesprächs war die Frage, ob es dem Film gelungen sei, mit den ihm eigenen Mitteln das Anliegen des Dichters überzeugend zu vermitteln. Seine Schöpfer hatten sich zum Ziel gesetzt, einen Film auch für junge Leute zu machen, um das jugendliche Publikum auf die Tatsache hinzuweisen, daß die Kräfte, die zwei Weltkriege entfesselten, auch heute noch wirksam sind. Ein notwendiges Anliegen also, dessen filmkünstlerische Gestaltung von nachhaltiger Wirkung sein sollte.

Diese Wirkung aber erscheint uns nicht im notwendigen Maße erreicht. Gewiß ist Gelächter bei jugendlichen Besuchern kein Maßstab für die Beurteilung eines Films. Doch sollte eine solche Reaktion gerade auf diesen Film zu denken geben. Der Grund hierfür ist zum Teil in der Verwendung filmkünstlerischer Mittel zu suchen, die den konventionellen Sehgewohnheiten nicht entsprechen.

Daß solche Mittel eingesetzt wurden, um neue Möglichkeiten filmischer Gestaltung und Empfindungen des Helden zu verdeutlichen, möchten wir begrüßen. Doch macht sich auch hier Widersprüchliches bemerkbar.

Neben überzeugenden Szenen gibt es z.B. die Traumsequenz vom "schönen Tod", die erst des Kommentars durch den Regisseur bedarf, um vor Unverständnis bewahrt zu bleiben.

Maßstab für die Beurteilung sollte das literarische Vorbild sein, dessen Interpretation er sich zum Ziel gesetzt hatte und seine Wirkung auf die Menschen, die er erreichen wollte.

Im Programm spricht Regisseur Egon Günther: "Mich interessieren vor allem menschliche Haltungen, moralisch-ethische und politische Fragestellungen." Sehr schön klingt das. Und was liefert uns der Film ?

Sind lange Bettszenen und eine mehr aus- als angezogene Fanny sowie Kraftausdrücke en gros ethische Fragestellungen? Vielleicht sollen die Szenen Lückenfüller bzw. Szenen sein, die die Jugend in den Film ziehen sollen? Um das Glück der beiden glaubhaft zu machen, hätte es nicht dieser ausgewalzten Szenen bedurft.

Jörg Helmer, Zeuthen
Neues Deutschland, 14. 11. 1968
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Unsere Partei hat die Grundfragen richtig beantwortet

Diskussionsrede von Hans-Dieter Made auf der 9. Tagung des ZK der SED vom Oktober 1968

Ich möchte noch eine Bemerkung zum Film "Abschied" machen. Den Filmschaffenden sind in letzter Zeit einige sehr gute Filme gelungen, von deren zwei zu Recht den Nationalpreis erhielten.

Ich will die Verdienste, die Dichte, die optischen Finessen, mit denen der Film gemacht ist, nicht verkleinern. Ich meine aber, daß der "Abschied"-Film die Höhe des Becherschen Geschichts- und Menschenbildes nicht erreicht.

Meiner Meinung nach handelt es sich doch wieder um Konzessionen an sogenannte moderne Mittel, die dazu führen, daß der Vorgang der Fabel und die Bechersche historische Vorgabe in Einzelteile zerfetzt und in impressionistische Einzelelemente aufgelöst wird. Theoretisch wird das damit begründet, eine geschlossene Form könne dem Zuschauer eine intakte Welt suggerieren.

Das ist nun allerdings eine Argumentation unmittelbar aus dem bürgerlich-ästhetischen Arsenal. Dabei geht die eigentliche Hauptsache leider verloren. Die Hauptsache besteht nämlich darin, daß dieser Bechersche Held ja nicht einfach nein sagt, sondern Becher war ein viel zu tiefer, dialektischer Künstler, als daß ihn nicht gerade interessiert hätte, wie im Neinsagen zugleich die Keime einer echten neuen Bewußtheit wachsen.

Das unterschlägt der Film weitgehend. Deshalb ist eine solche Szene wie die, die im Roman so sehr beeindruckt - wie Hans Gastl mit seinem jüdischen Freund buchstabieren lernt, was das ist, die menschliche Gesellschaft -, im Grunde eindruckslos und in ihrer Tiefe nicht vorhanden.

In der Presse ist überall zu lesen, wie unterhaltsam es ist, daß die Seite des Alten so satirisch zugespitzt, so komödiantisch, mit neuen Mitteln dargestellt wird. Aber wenn ich den Gegner in der Absicht satirischer Entlarvung durch sogenannte komödiantische Mittel zu sehr verkleinere, verkleinere ich im selben Moment auch die Leistung dessen, der den Gegner überwindet. Auch diese Dialektik scheint mir in vielem gestört.

Und um eine letzte Bemerkung zu machen: Ich finde, daß die Szenen im Literatencafe, dem anarchistischen Poetenmilieu, ebenfalls zu einseitig und undialektisch angelegt sind. Natürlich ist es einfach, den lächerlichen Ausgangspunkt dieser Gesellschaft satirisch preiszugeben. Die Schwierigkeit besteht darin - und das scheint mir die Bechersche Position zu sein -, in diesem Menschen, der dort noch stammelnd, noch unfertig die ersten Ausdrücke für dichterische und politische Sprache sucht, zugleich den darzustellen, der wenige Jahre später dichtet: "Ich lerne, ich bereite vor, ich übe michH - und der diesem Maßstab bekanntlich sein Leben lang treu geblieben ist.

Im Filmverband und vielleicht im Beirat für Film beim Ministerium für Kultur wird man sich so wie wir uns im Theaterverband am Beispiel des "Faust" mit solchen schöpferischen Problemen auseinandersetzen müssen. Dabei ist das Recht des Films, bei der Verfilmung eines solchen Romans ein eigenständiges Kunstwerk zu schaffen, ganz unumstritten. Es geht um die Frage, ob ein solches Kunstwerk hinter die historische Konzeption von Johannes R. Becher zurückfallen darf.

Neues Deutschland, 28. 10. 1968
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Dem Kern zugewandt?

Von Hartmut Albrecht und Dr. Friedrich-Karl Freyer

Auf die Frage, ob ein Film modern sei, wird die Kritik nicht nur in Anbetracht bestimmter Gestaltungsmittel antworten können. Sie wird zu prüfen haben, ob der geistige Gehalt der literarischen Vorlage in ideell-ästhetischer Einheit unserer Zeit gemäß dargestellt wird.

In dieser entscheidenden Hinsicht bleibt der Film unter dem Niveau des Romans, unter Bechers Niveau. Der Film exponiert nicht das Anderswerden, sondern die Absage an den imperialistischen Krieg, und schließt auch wieder mit dieser Absage. In dieser Klammer verengt sich die gesellschaftliche Bedeutung des EntScheidungsprozesses Hans Gastls.

Eine uns vordergründig erscheinende Art der Aktualisierung, die die alte Gesellschaft hauptsächlich als erledigte Erscheinung und ihre stark typisierten Vertreter als nicht mehr ganz ernst zu nehmende Antagonisten Hans Gastls auffaßt, verkleinert die tatsächliche Größe seiner Entscheidung, den beispielgebenden Wert seines Ringens.

Die Geschichte des Helden wird retrospektiv vorgeführt. Die Montage vermag in diesem Falle den komplizierten Reifeprozeß Hans Gastls, seine tiefgreifende Wandlung nicht sichtbar zu machen. Auf den ersten Blick imponierende Darstellungsmittel erweisen sich in dieser geistig-dramaturgischen Funktion als ungeeignet zu zeigen, wie ein Mensch sich durch die Widersprüche seiner Zeit ringt, ihrer Höhe zustrebt.

Die dramatische und geistige Spannweite wird vor allem dadurch beeinträchtigt, daß zwar ein Abschied des Helden gezeigt wird, nicht aber, daß er bereits neue Positionen erobert hat. Diese Mängel ergeben sich selbst bei den aus dem Roman verwendeten Komplexen durch einseitige Interpretation. Schon diese knappen Charakterisierungen verdeutlichen, daß für die Kritik analoge Produktivitätsforderungen gelten wie für die Kunst in unserer Gesellschaft.

Filmspiegel, Nr. 23, 13.11.1968
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  • Anmerkung : Der Filmspiegel war eine Filmzeitschrift der DDR. Sie erschien von Januar 1954 bis März 1991 alle 14 Tage im (Ost-)Berliner Henschel-Verlag.

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Egon Günther - Zur Person des Regisseurs

(30. März 1927 - † 31. August 2017 in Potsdam)
Ausbildung als Schlosser, dann Studium an der Karl-Marx- Universität in Leipzig (Pädagogik, Germanistik und Philosophie). Tätigkeit als Lehrer, Verlagsdirektor, Schriftsteller, Filmdramatiker, Filmautor. Verfasser mehrerer Erzählungen und Romane. Filme: "Lots Weib" (1965), "Abschied" (1968), "Junge Frau von 1914" (Fernsehfilm nach dem Roman von Arnold Zweig, 1969/70), "Anlauf" (Fernsehfilm, 1971), "Der Dritte" (1972), "Die Schlüssel" (abgeschlossen, aber noch nicht aufgeführt)

Nachtrag: Uraufführung "Abschied" 18.10.1968. Länge: 2912 m.
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  • Anmerkung : Was sie hier nicht anführen ??? Seit den 1960er Jahren trat das schriftstellerische Werk Günthers, der seit 1953 Erzählungen und Romane veröffentlicht hatte, gegenüber der Arbeit für Film und Fernsehen in den Hintergrund. Günther verfasste eine Reihe von Drehbüchern und führte ab 1961 auch selbst Regie bei Spielfilmproduk- tionen der DEFA. Bereits seit dem Verbot der Satire "Wenn du groß bist, lieber Adam" im Jahre 1965 hatte der Regisseur bei der Verfilmung von Gegenwartsstoffen immer wieder Probleme mit der DDR-Zensur; andererseits waren seine Literaturverfilmungen große Erfolge.
  • 1968 - Sein Film nach dem gleichnamigen Roman von Johannes R. Becher Abschied wird kurze Zeit nach seinem Kinoeinsatz nicht mehr aufgeführt.
  • ..... und was die obigen Kommentatoren in 1972 noch nicht wissen konnten : 1978 - "Übersiedlung" (oder Aussiedlung ?) in die Bundesrepublik.

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DAS SIEBENTE JAHR

DDR 1969. Produktion: DEFA, Künstlerische Arbeitsgruppe "Berlin". Buch und Regie: Frank Vogel. Kamera: Roland Graf. Musik: Peter Rabenalt. Darsteller: Jessy Rameik, Wolfgang Kieling, Ulrich Thein, Monika Gabriel, Alfred Müller
Uraufführung: 28.2.1969. Länge: 2263 m

Der Film enthält Ausschnitte aus dem vietnamesischen Spielfilm "Nguyen Van Troi"
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Inhalt des Spielfilms

Seit sieben Jahren ist die Chirurgin Dr. Barbara Heim mit Günter, einem namhaften Schauspieler, verheiratet. Sie haben eine sechsjährige Tochter. Die Ehepartner gehen Berufen nach, die ihnen ein hohes Maß an physischen Anstrengungen abverlangen. Die wenigen gemeinsamen Stunden sind trotz guten Willens auf beiden Seiten nicht frei von Spannungen, weil ihren Kräften Grenzen gesetzt sind.

Günters Alltag ist ausgefüllt mit Bühnenproben, Filmsynchronisierung, Schallplattenaufnahmen und Vorstellungen. Barbara gehört als einzige Frau einem Ärzteteam hochspezialisierter Herzoperateure an, die mit jedem komplizierten Eingriff zugleich um Menschenleben ringen. Der Tod eines Kindes in der Klinik löst in Barbara Zweifel aus, ob sie den Belastungen durch ihre Tätigkeit und den Forderungen des Familienlebens gleichzeitig gewachsen ist.

Wäre es vielleicht besser, wie auch Günter rät, die Berufsarbeit zeitweilig auszusetzen?

Barbara, die im Kreis der Freunde und Kollegen Rat sucht, muß erleben, wie Günter zwischen ihr und der nicht berufstätigen attraktiven Margot, Ehefrau des ihr sehr nahestehenden Kollegen Dr. Sommer, Vergleiche zieht. Jedoch der erfolgreiche Verlauf einer schwierigen Operation, der sich ein gemeinsamer Freund, der Wissenschaftler Werner Wilfurth, unterziehen muß, sowie die offene, leistungsfordernde Atmosphäre in ihrem Arbeitskollektiv verleihen Barbara Kraft und Zuversicht, auch um ihr privates Glück zu kämpfen. Die Liebeserklärung ihres Mannes am Vorabend des 7. Hochzeitstages bestätigt die Annahme, daß Barbara ihre Krise überwunden hat.

Prisma, Kino- und Fernsehalmanach 1, Berlin 1970
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Kritiken

Das siebente Jahr (DEFA). Dies ist ein nicht alltäglicher Film über den Alltag eines Ehepaars, genauer gesagt: über den Alltag einer berufstätigen Ehefrau und über die praktischen Probleme der Emanzipation. Denn im Mittelpunkt der nicht gar so dramatischen, dennnoch außerordentlich packenden und bewegenden Handlung steht eine junge Herzchirurgin.

Ihr Mann, ein erfolgreicher Schauspieler, auf eine nervöse Art zumeist mit sich selbst und seiner Karriere beschäftigt, bleibt am Rande des Geschehens. Das ist auch nicht unlogisch, denn was sind - genau besehen - die Sorgen eines Schauspielers, verglichen mit denen einer Herzchirurgin, die nicht nur die Last ihres verantwortungsvollen Berufs tragen muß, sondern außerdem einen Haushalt zu führen und ein Kind aufzuziehen hat!

Materielle Nöte kommen nicht ins Spiel; der Schauspieler fährt einen neuen Wartburg, Frau und Kind benutzen die verhältnismäßig zuverlässige S-Bahn, die Wohnung ist fein eingerichtet, Kühlschrank und Speisekammer sind wohl gefüllt.

Und doch wird im siebenten Jahr dieser Ehe aus dem Miteinander, wie es scheint, ein Nebeneinander. Von einer Krise kann keine Rede sein, noch hat kein Partner den anderen betrogen, aber es ist Gefahr im Verzug. Der Film, den Frank Vogel geschrieben und inszeniert hat, läßt es nicht zur Katastrophe kommen, denn er zeigt nur einen Ausschnitt, eine Woche aus dem siebenten Ehejahr; er bietet auch keine Patentlösungen an, gibt indes - was weitaus schöner und nützlicher sein dürfte - dem Zuschauer wertvolle Denkanstöße.
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Wie schön unser (FDDR-) Leben ist oder - sein könnte

Ohne etwas zu beschönigen, führt er vor, wie schön unser Leben ist oder - in diesem Falle doch sein könnte. Der Autor kennt den klinischen Betrieb offenbar sehr genau, was dem Film natürlich zugute kommt. Dennoch haben seine Porträts allgemeine Gültigkeit, und man könnte sich statt der Ärztin und des Schauspielers ebensogut eine Lehrerin und einen Ingenieur vorstellen.

Es ist in unserem Staat nichts Besonderes, daß eine Frau Herzchirurgin werden kann - das Besondere ist nur, wie sie damit zurechtkommt, und eben das wird hier nachdenklich und sehr unterhaltend, diskret und ohne große Redensarten, mit einem feinen und menschenfreundlichen Humor ins Bild gesetzt.

Die Szenen aus dem ärztlichen Alltag sind in der Charité gedreht, und auch sonst hat sich der Kameramann Roland Graf mit großem Erfolg um einen gewissermaßen dokumentarischen, dabei niemals trockenen oder etwa unpoetischen Stil bemüht.

Jessy Rameik, die ich zuvor noch nie auf der Leinwand gesehen hatte, bietet in der Hauptrolle eine überzeugende Charakterstudie; eine solche Schauspielerin hatte der DEFA gefehlt. Der schauspielerische Radius von Ulrich Thein ist nicht größer geworden, er spielt im "Siebenten Jahr" einen tüchtigen, etwas polterigen Chirurgen, der in seinem Beruf weitaus fortschrittlicher ist als in seinen vier Wänden.

Unaufdringlich und sympathisch wirkt Hanns Anselm Perten als Professor. Daß Perten nicht nur ein aktiver und erfolgreicher Theaterdirektor ist, sondern auch ein ausgezeichneter Charakterspieler, dürfte bekannt sein, aber es freut mich immer wieder, mich davon aufs neue überzeugen zu können.

Die anderen Darsteller

Als Arztgattin und Nur-Hausfrau ist die attraktive Monika Gabriel zu sehen. Besonders gespannt war man natürlich auf das Wiedersehen mit Wolfgang Kieling, der seit Jahren zum ersten Mal wieder in einem DEFA-Film auftritt. Die Rolle des Schauspielers gibt nun nicht allzuviel her, was aber Kieling daraus macht, ist bemerkenswert.

Er führt uns einen intelligenten Künstler vor, einen Mann mit beherrschter Nervosität, der unerachtet seiner beruflichen Erfolge an der Seite dieser Herzchirurgin doch nicht ganz zum Zuge kommt oder sich dies zumindest einbildet. Frank Vogel und seinem Team kann man zum "Siebenten Jahr" gratulieren. Ich tue dies um so lieber, als Vogel vor Jahren mit nicht eben umwerfenden Arbeiten als Regisseur debütiert, sich aber von Film zu Film kontinuierlich und imponierend entwickelt hat.

Lothar Kusche in: Die Weltbühne, Nr. 10, 11.3.1969
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Frank Vogel - Zur Person des Regisseurs

Geb. 1929. Studierte an der Moskauer Filmhochschule unter Sergej Jutkewitsch. Filme: "Klotz am Bein" (1958), "Die Entscheidung des Dr. Ahrendt" (1960), "Der Mann mit dem Objektiv" (1961), "Und Deine Liebe auch" (1962), "Julia lebt" (1963), Geschichten jener Nacht" (1967, Episode 3: "Materna"), "Das siebente Jahr" (1969), "Der Mann und das Mädchen" (Fernsehfilm ,1972) . 32
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IM SPANNUNGSFELD

DDR 1970. Produktion: DEFA, Künstlerische Arbeitsgruppe "Johannisthal". Regie: Siegfried Kühn. Buch: Helfried Schreiter, Siegfried Kühn, Wolfgang Ebeling. Kamera: Günther Haubold. Musik: Motive von Josef Haydn. Darsteller: Ekkehard Schall, Manfred Zetzsche, Sabine Lorenz, Karla Runkehl, Johannes Wieke, Volkmar Kleinert
Uraufführung: 12.1.1970. Länge: 2176 m
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Das "Spannungsfeld", in dem wir leben

Regisseur Siegfried Kühn zur Uraufführung seines Filmes

  • Anmerkung : Jetzt kommen erst mal eine Reihe immer wiederholter politischer Standard-Sprüche, die bereits langweilig wirken, weil sie erzwungen auswendig gelernt daher kommen.


Jahrhundertelang haben die Könige mit ihren Problemen und Kämpfen die Dramaturgie beherrscht. Dann waren es die Bürger, die ihre Kämpfe auch in der Kunst ausfochten.

Heute ist die Arbeiterklasse die herrschende Klasse. Arbeiter, Parteisekretäre, Werkleiter und Mathematiker ringen um die Lösung der Probleme beim sozialistischen Aufbau.

  • Anmerkung : Nach 30 Jahren "DDR" wurde uns Wessis bestätigt, Parteisekretäre gehörten nie der (niederen) Arbeiterklasse der Werktätigen an, sie hatten immer einen elitären Sonderstand bzw. Status in der sozialistischen Klassengesellschaft, in der es angeblich gar keine Klassenunterschiede gab.

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Jetzt zum Thema :

Ein Werkleiter "kauft" sich einen Mathematiker ein, weil er weiß, nur mit dem Mathematiker (sprich: der elektronischen Datenverarbeitung) kann sein Werk über die Gegenwart hinaus Kurs auf die Zukunft nehmen. Aber auch er, Werkleiter Hoppe, hat, unabhängig von dem Mathematiker, seine Zukunftsvorstellungen.

Er möchte heraus aus den alten, unübersichtlichen, dunklen Werkhallen, dem Erbe der Gründerjahre, das er übernehmen mußte. Er möchte Arbeitsplätze schaffen mit Licht, Farben - und mit Blumen. Die 50 Millionen für den Neubau hat er in der Hand, und vor dem Fenster seines Arbeitszimmers rattern die Bulldozer, die Wirklichkeit aus dem machen sollen, was im Moment noch als Modell auf dem Tisch steht.

Und da kommt der Mathematiker, von dem er glaubt, er sei inzwischen sein Freund geworden, und bezeichnet dieses Modell als ein Spielzeug, das zwar sehr hübsch, aber ein wenig teuer für ein Spielzeug sei.

Er hat inzwischen das Werk durchgerechnet und feststellen müssen, daß sogar die bestorganisierten Bereiche nur zu 70 Prozent ausgelastet sind, daß also auch unter den jetzigen Produktionsbedingungen viel mehr produziert werden könnte, daß ein Neubau zumindest im Moment ungerechtfertigt erscheinen muß. Ein Lebenstraum in Frage gestellt.

Das ist etwa das Spannungsfeld, um das es in unserem Film geht. Nicht nur ein Spannungsfeld zwischen Werkleiter und Mathematiker, ein Spannungsfeld zwischen zwei sehr unterschiedlichen Charakteren und Temperamenten, sondern zugleich das Spannungsfeld zwischen Gegenwart und Zukunft, in dem wir alle leben und das uns alle gleich beschäftigt.

Natürlich konnten wir in unserem Film keine Lösungsrezepte anbieten, und so gibt es kein Happy-End im üblichen Sinne. Für die beiden Hauptfiguren unseres Films ginge die Auseinandersetzung in gleicher Härte weiter, wenn der Film sie weiterverfolgen würde. Aber wenn wir mit unseren Überlegungen unseren Zuschauern Denkanstöße gegeben haben, wie die Probleme unseres Lebens heute und morgen zu meistern sind, dann haben wir, so glaube ich, viel erreicht.

Neues Deutschland, 15. 2. 1970
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Gleichnis und Charakter

Von Rolf Liebmann

Dieser wichtige Film hat etwas Zweigleisiges, es sind zwei Lesarten möglich: In seinem Grundriß ist der Film ein Gleichnis auf die Unvereinbarkeit von Technokratentum und Sozialismus.

Aber er versucht auch, die Beziehungen von Charakteren zu erzählen, von Leuten, die auf ihre konkrete Weise die Anforderungen der wissenschaftlich-technischen Revolution bei uns vertreten oder erleben, jedenfalls damit fertig werden müssen. Die beiden Lesarten sind im Kern nicht verschieden, bei jeder geht man aber von einer anderen Einstellung zu den Figuren aus.

Nimmt man den Film als Gleichnis, dann findet man folgende Grundhaltungen der drei Haupthelden: Der Mathematiker Bernhardt ist dann der egozentrische Virtuose der elektronischen Datenverarbeitung; man ahnt in ihm die Personifikation eines kalt-rechnerischen Prinzips, man neigt zu dem Verdacht, daß er, die falsche Menschenfreundlichkeit einen Feind des Sozialismus nennend, von den Leuten gar nichts hält.

Der Leiter Hoppe, der sich den Mathematiker ins Werk geholt hat (er hat ihn abgeworben und eine Disziplinarstrafe dafür bezahlt - so gierig ist er auf die Wissenschaft), will die moderne Produktivität sichern, aber nicht mit einem eisernen Prinzip über die Köpfe der Leute hinweg. Er ist gleichsam der Verwalter des persönlichen Glücks der Werksmitglieder. Brüskiert der Bernhardt jemanden, dann greift der Hoppe ein. Er versucht sogar, die Beziehungen Bernhardts zu dessen Freundin zu ordnen. Diese dritte Hauptfigur ist (wie die meisten Frauen des Films) vor allem dazu da, die Selbstgefälligkeit des Mathematikers zu kritisieren.
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und wie immer : das Bekenntnis zur Arbeiterklasse

Gegen Schluß bekennt der Mathematiker sich mit Nachdruck zur Arbeiterklasse als seinem Aufsichtsrat. Das Gleichnis hätte so seine Aufgabe erfüllt, eine polemische; aber mit Hilfe einer ziemlich groben Typologie.

Die zweite Lesart wird möglich, weil einige Farbelemente, erstaunlich viele Inszenierungseinfälle und die Fotografie gegen die Typologie des Gleichnisses ankämpfen. Es soll ein sinnliches Bild des Lebens gegeben werden, die Figurenanlage nicht einseitig bleiben, ohne daß das Gleichnis ganz aufgegeben werden müßte. Die Talentprobe des Regisseurs Siegfried Kühn ist eine große Kraftprobe.

Ein Beispiel: Die Szene, "wo" in der Bernhardt erstmals das Werk gezeigt bekommt, ist mit genauer Inszenierungsabsicht in der Bewegung gelöst (eine schnelle Kamerafahrt vor Bernhardt und Hoppe her); während des eiligen Gehens hat Hoppe noch Zeit, Kollegen vorzustellen; mit einem Arbeiter, der auf dem Fahrrad vorbeikurvt, wechselt er rasch ein Wort; es ist unmittelbar Kontakt da, die im Betrieb herrschende Harmonie ist knapp, aber einleuchtend ins Bild gekommen.

Bernhardt geht währenddessen ein paar schnelle Schritte rückwärts neben Hoppe her, schaut nach den Hallen, nicht nach den neuen Kollegen. Aber der Schauspieler Schall spielt damit weniger Arroganz, mehr die Ungeduld eines Mannes, der endlich seine Energie loswerden will; es ist elegant gebändigte Unruhe, was wir in seinen Bewegungen sehen; es mischt sich nur etwas Selbstgefälliges hinein. Eine schöne artistische Nummer.

Es soll sogar einen Scherz gegeben haben

Vergleichbar die folgende Szene: Die EDV-Kolonne marschiert auf die Praktiker los. Das ist mit leichter Ironie als Invasion der weißen Mäntel inszeniert. Der alte Werkmeister Keßler wird einem Bombardement von Fragen ausgesetzt, jetzt wird der Betrieb durchgerechnet. Hier begegnet Bernhardt dem erfahrenen Praktiker hochmütig, er verletzt dessen Berufsstolz.

Dagegen wird Bernhardt kurz darauf einer Brigade spontan, ohne Umschweife und souverän den Nutzen seiner Arbeit erklären; Schall spielt Sachlichkeit und Selbstbewußtsein, keinerlei Dünkel, Die Episode schließt mit einem Scherz unter Partnern.

Solche guten, politisch wohlüberlegten Relativierungen der Figur dienen der Einsicht, daß Hoppe und Bernhardt letzten Endes Verbündete sind. Bemerkenswert besonders die Erklärung von Bernhardts Auftreten durch die Ungeduld eines von seiner Aufgabe Besessenen.

So wird seine Härte (mit der er Schaden anrichtet: Er vertreibt erfahrene Mitarbeiter) verständlich, ohne gerechtfertigt zu werden. Es ist nun nicht zu vermeiden, daß man, an der zweiten Lesart stärker interessiert als an der ersten, mehr fordert, als der Film gibt. Geht er am Schluß wieder ins Gleichnis, weiß man über die Figuren doch noch nicht genug.

Hoppe, Bernhardt und dessen Freundin, die Kunstwissenschaftlerin, entfernen sich in jetzt erreichter Eintracht von der Kamera; drei Spaziergänger zwischen weißen Häusern. Das demonstriert die dynamische, nicht als statisch zu verstehende Harmonie von Produktion und Wissenschaft, auch die Kunst (das kluge Mädchen) gehört dazu. Der Film hat sich im Grunde in der zugespitzten, rhetorisch geführten Erörterung von Bernhardts Verhärtungen und deren Korrektur erschöpft.

Sonntag, Nr. 11/70, 15.3.1970
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..... Ein dramatischer Konflikt - nicht mehr unser Zeitgefühl

..... Ein dramatischer Konflikt, eine spannungsgeladene Filmgeschichte deuten sich an. "Filme dieser Art entsprechen nicht mehr unserem Zeitgefühl. Sie sind naiv", findet aber Regisseur Kühn. Er vertraut aufs Authentische und gerät ins Protokollieren. Der Fachmann ist gefesselt, und der Laie langweilt sich. Dr. Bernhardt hat auf dem Weg zum wissenschaftlichen Perfektionisten menschliche Substanz eingebüßt. Gefüttert mit richtigen Erkenntnissen, reagiert er schließlich nur noch wie ein Computer.

In der Gegenüberstellung mit dem verdienten Meister Keßler (Johannes Wieke) wird er zum eiskalten Technokraten. Auch hier wäre der Ansatzpunkt zu einer großen, menschlich bewegenden Fabel gewesen! Aber Keßler bleibt Charge ebenso wie Dr. Bernhardts Freundin Jutta (Sabine Lorenz), die ihm nicht Gefährtin, sondern bestenfalls Gespielin sein darf.

Eine typische Bilderbuchlösung - vom Feind belehrt ?

Wer hilft einem klugen, unentbehrlichen Menschen, das Richtige zu tun? Der Film bietet eine Bilderbuchlösung: Dr. Bernhardt erkennt im Gespräch mit zwei Wissenschaftlern aus kapitalistischen Ländern, daß er in verdächtige Nähe ihrer unmarxistischen Denkschemata geraten ist. Vom Feind belehrt, kehrt er geläutert zurück.

Die Filmschöpfer haben sich so intensiv mit ihrer Thematik vertraut gemacht, daß ihre Arbeit den kritischen Augen der Fachleute standzuhalten vermag. Aber im Kino sitzen nicht nur Datenverarbeiter. Auch die anderen hätten sich gern im Spannungsfeld einer interessanten Geschichte befunden, wären gern menschlichen Charakteren begegnet, deren Konflikte und Bewährungsproben übertragbar sind auf eigene Bereiche. Denn im Mittelpunkt jeder Kunst steht immer noch der Mensch, nicht der Computer.


Renate Holland-Moritz in: Eulenspiegel, 3. März-Ausgabe 1970
Siegfried Kühn - Filmografie
"Im Spannungsfeld (1970), "Zeit der Störche" (1971).
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Die Kommentare zu "Unterwegs zu Lenin" haben wir übergangen

Das war dann "Zuviel des Guten" an dümmlichem völlig realitätsfremden sozialistischem Schmus in einem Heftchen aus West-Berlin, sorry, da sind mir die Finger eingefroren.

NETZWERK

DDR 1970. Produktion: DEFA (Studio für Spielfilme, Künstlerische Arbeitsgruppe "Berlin"). Regie: Ralf Kirsten. Buch: Ralf Kirsten, Eberhard Panitz. Kamera: Claus Neumann. Musik: Andre Asriel. Darsteller: Alfred Müller, Jutta Wachowiak, Manfred Krug, Rolf Ludwig, Fred Düren, Katja Paryla

Uraufführung: 3.9.1970. Länge: 2178 m.

Inhalt - In einem modernen Chemiebetrieb ...

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  • Anmerkung : Die DDR Arbeiter aus dem Kombinat Bitterfeld dürften da nur noch gelacht haben (jedenfalls heimlich, sonst wäre es gefährlich geworden), denn es gab bereits vor 1970 keinen modernen Industriebetrieb in der Chemie mehr. Und in 1989 konnten wir 2unwissenden ewig lügenden" Wessis das dann wirklich recherchieren, es war in Bitterfeld und der ganzen Gegend um Halle/Saale seit Jahrzehnten alles an Industrie verrottet.

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.... wird die planmäßige Produktion aufgenommen. Menschen aus allen Teilen der Republik begegnen sich hier zum ersten Mal, sie kommen mit unterschiedlichsten Erwartungen und Erfahrungen.

Dr. Kahler, Mitte Dreißig, verheiratet, Parteisekretär und Ingenieur. Er studierte in Dresden Mathematik, ging dann ins neue Werk. Der 43jährige Peter Ragosch ist Meister im Betrieb. Seit 1949 ist er auf allen wichtigen Bauplätzen unserer Republik gewesen.

Alfred Heidicke, Mitte Fünfzig, ist Betriebsleiter. Er orientiert das Kollektiv auf erfolgreiche Überführung des Werkes von der letzten Baustufe in die Produktions-Anlaufstufe.

Menschen im Prozeß des Zusammenwachsens zur sozialistischen Menschengemeinschaft. Aber das geschieht nicht automatisch. Der Weg ist kompliziert zum gemeinsamen Handeln.
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Menschen auf dem Weg zueinander

Von Ralf Kirsten, Regisseur des DEFA-Films "Netzwerk"

Den Stoff für den Film "Netzwerk" haben Eberhard Panitz und ich vor allem in der Wirklichkeit des Petrolchemischen Kombinats Schwedt gefunden. Mit den Genossen dort verbindet mich seit 1962 eine Freundschaft, die während der Dreharbeiten zu "Beschreibung eines Sommers" entstand und die sich in den letzten Jahren, bei der Konzipierung von "Netzwerk" und bei den Dreharbeiten, fortgesetzt hat. Der erste Film schilderte noch die Periode der schweren Erdarbeiten, die Zeit des ersten Aufbaus und der damit verbundenen Probleme.

Mit dem jetzt vorliegenden Film "Netzwerk" versuchen wir, Konflikte und Schicksale von Menschen zu schildern, die sich heute den Aufgaben der wissenschaftlich- technischen Revolution stellen und inzwischen gelernt haben, mit modernsten Produktionsanlagen umzugehen. Kluge und kritische, den Entstehungsprozeß des Films begleitende Diskussionen der Arbeiter, der Ingenieure und der Werkleitung haben diese Freundschaft nur noch vertieft.
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Der Film wurde im petrolchemischen Kombinat Schwedt gemacht

Die Auseinandersetzung um die Konflikte und deren Gestaltung waren für beide Seiten nützlich. Uns zwang sie zu genauer Erfassung der Wirklichkeit und ihrer Bewertung, den Schwedtern gab sie Gelegenheit, tiefer in das Wesen der Kunst einzudringen. Gemeinsam ging es uns darum, hinter den konkreten Handlungsabläufen des Films unsere Zeit, hinter der "Wirklichkeit Schwedt" bestimmende Züge der Wirklichkeit DDR zu entdecken.

Für uns war in Schwedt der künftige Zuschauer von Beginn der Arbeit an dabei: durch seine produktiv-kritische Haltung während der literarischen Arbeit, durch seine praktische Hilfe während der Dreharbeiten und schließlich als Partner im Kino selbst. In Schwedt und anderswo haben bereits Voraufführungen des Films stattgefunden. Die daran anschließenden Diskussionen haben gezeigt, daß die überwiegende Mehrzahl der Zuschauer bereit ist, die eigene Lebenserfahrung, die eigene Phantasie zu beflügeln, wenn es gilt, die im Film dargestellten Probleme zu Ende zu denken.

Über die Identifikation mit den verschiedenen Figuren gelingt es dem Zuschauer, Zugang zum Ganzen zu finden, die geschilderten Schicksale aufeinander zu beziehen, sie zu werten und mit dem eigenen Verhalten zu vergleichen.

Hans Kahler, Parteisekretär im Film "Netzwerk", dargestellt von Alfred Müller, ist die Mittelpunktfigur eines Ensembles ihrem Alter, ihrer Herkunft und ihrer Lebenserfahrung nach unterschiedlicher Menschen. Er teilt ihr Leben, teilt ihre Probleme, hat auch eigene Sorgen, er hat aber auch eine Phantasie, die ihm gestattet, sich das Morgen genauer vorzustellen, konkreter schon das Ziel anzuvisieren und den Weg zu kennen:

Sie haben bereits in 1972 an das Jahr 2000 gedacht

"Wir müssen heute schon die Weichen für das Jahr 2000 stellen, müssen alle Entscheidungen heute aus dem Wissen um die sozialistische Welt von morgen treffen und dürfen dabei nicht vergessen, daß fachliches Können und revolutionäre Begeisterung untrennbar zusammengehören."

Davon sind Kahlers Auseinandersetzungen mit dem Betriebsleiter Heidicke, einem hochqualifizierten Ingenieur, bestimmt, der noch nicht aus dem Wissen um die Einheit praktischer und geistiger Führungsaufgaben heraus handelt. Davon läßt Kahler sich leiten in seiner Kontroverse mit dem jungen Ingenieur Püschel, der glaubt, das auf der Universität Gelernte allein würde die Lebens- und Arbeitserfahrung eines erfahrenen Meisters ersetzen können.

Kahler geht es um die Herausbildung von Verhaltensnormen, die jeden einzelnen seines Kollektivs in die Lage versetzen, die von der wissenschaftlich-technischen Revolution gestellten Aufgaben auf sozialistische Weise zu lösen. Die im Vordergrund stehende Aufgabe, einen neuerbauten Betriebsteil in Gang zu setzen, zwingt die Mitarbeiter zur Beantwortung der Fragen: Wo komme ich her, wer bin ich, wie muß ich morgen sein, um den Forderungen der Zukunft zu genügen?
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Da wird suggeriert, es sei ein Industriegigant ....

Industriegiganten werden überall auf der Welt gebaut. Der prinzipielle Unterschied unseres Aufbaus zur kapitalistischen organisierten Wirtschaft liegt in dem Stellenwert, den der arbeitende Mensch innerhalb der Gesellschaft einnimmt.

Der Mensch ist bei uns nicht anonymes Rädchen, das zu funktionieren hat, er ist Herr des Produktionsprozesses, des Landes und seiner Geschichte - das ist der Kerngedanke unseres Filmes.

Wir haben versucht, im Film ein Stück Weg der Menschen zueinander sichtbar zu machen, hinter dem Alltag den Kampf zu zeigen, den ungezählte Menschen an ungezählten Stellen gegen das Alltägliche in Denken und Tun führen. Wir hoffen, daß sich etwas von der schöpferischen Unruhe und der Größe unserer Zeit, die wir in Schwedt entdeckten, im Film widerspiegelt und auf den Zuschauer überträgt.

Anmerkung : Auch hier wieder die typischen Partei-Sprüche, die mit der harten Realität der DDR nicht im geringsten übereinstimmten.

Neues Deutschland, 28. 8. 1970
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Auskunft über uns

"Netzwerk",ein neuer DEFA-Gegenwartsfilm - Von Rosemarie Rehahn

Die Filmschöpfer zeigen ein reichliches Dutzend Zeitgenossen, deren Echtheit man bestätigen möchte, deren Gesichter einem vertraut sind.

Es erweist sich aber, daß in einem Ausschnitt dieser Breite Probleme nur angetippt werden können, Figuren sich nicht zu Charakteren runden, Diskussionsstoff geboten wird an Stelle von Erlebnisstoff.

Im interessanten Reportageband "Der siebente Sommer" von Eberhard Panitz, der die erste Anregung zum Film gab, kritisiert ein Schriftsteller die Arbeit eines Kollegen: ".... warum nimmst Du nicht aus dem Ganzen irgendeine Sache heraus, die Du beschreibst und umschreibst, und einen Konflikt von den vielen angedeuteten Konflikten, aber so, daß man es auch donnern hört, und nicht nur ein blasses Wetterleuchten sieht, und so, daß man alles sieht, hört und schmeckt."

Ja, warum nimmt er nicht? Ich meine, warum macht der Filmautor Eberhard Panitz in Gemeinschaft mit dem Regisseur Ralf Kirsten keinen Gebrauch von dem, was der Reportageautor Panitz so treffend erkannt hat?
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Es durfte sogar ein Mangel kritisiert werden

Ein Mangel des Films, der am deutlichsten wird in der Geschichte des Meisters Ragosch (Fred Düren), die die Autoren als Ausgangspunkt benutzen, um das Netz menschlicher Beziehungen aufzuzeigen. Da der im Schicksal Ragosch enthaltene Konfliktstoff schwerer wiegt, komplizierter ist als die Probleme des breit entrollten Figurenpanoramas bleibt hier eine skizzenhafte Darstellung besonders unbefriedigend. Ungelöste Fragen, unklare Beziehungen werden zu Fußangeln für den Zuschauer.

Zum Glück greift der talentierte Regisseur Ralf Kirsten den Buchautoren Kirsten und Panitz unter die Arme. Es gibt eine Fülle schöner Alltagsbeobachtungen, die das Auge des Zuschauers für die eigene Wirklichkeit schärfen, Echtheit der Atmosphäre, des Milieus, eine Kamera - Claus Neumann -, die in der Prosa des angestrengten Arbeitsalltages etwas von der Poesie des Industriegiganten sichtbar macht.

Wochenpost, Nr. 39, 25. 9. 1970
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Lebensnähe wurde nicht erreicht

Gedanken zu dem neuen DEFA-Film von Ralf Kisten "Netzwerk". Mit dem Gefühl, einer kühlen Region entronnen zu sein, verließ ich diesen Film. Und ich entsinne mich genau, wie warm mir danach draußen die Luft erschien, wie lebendig und anziehend die Menschen auf der Straße, wie farbenreich und schön der ganz alltägliche Tag.

Und doch wollte der Film gerade den Alltag schildern, das Netzwerk menschlichen Miteinander in sozialistischen Lebensformen aufspüren!

Viele und große Worte werden in den 90 Minuten Spieldauer ausgesprochen, Weisheiten die Fülle: über die Verantwortlichkeit füreinander, über die Arbeit an sich selbst, über die rechte Liebe, über die jungen und über die älteren Kollegen, über die junge Ehe, über das sozialistische Zusammenleben - es kommt beinahe alles "dran"!

Ralf Kirsten, Drehbuchautor und Regisseur in einer Person, geizte wahrlich nicht mit dem Wort. Seine Gestalten breiten schon in den ersten Sekunden ihrer Leinwandexistenz letzte Lebensgeheimnisse aus: die Hausfrau, die Wissenschaftlerin, der Parteisekretär, der Ingenieur, die Krankenschwester, und ihr (merkwürdigerweise einziger) Patient. Sie alle rezitieren fleißig, was ihnen das Drehbuch in den Mund legt - etwas anderes aber haben sie in diesem Film nicht zu tun.

Sie dürfen lediglich an wechselnden Orten und mit wechselnden Partnern Probleme diskutieren - eins nach dem anderen.
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Stoff zum Nachdenken wollte dieser Film geben.

Und nachdenkenswert ist es auch, was hier zur Debatte steht. Kann es aber, so vordergründig dargeboten, wirklich erfaßt und weitergedacht werden?

An welcher Stelle dieses wortereichen und doch so leblosen Drehbuchs sollte der Funke der Anteilnahme, der Sympathie, des Interesses am Geschehen sich entzünden? Dazu fehlt diesen Szenen beinahe alles: Natürlichkeit, Wärme, Lebensfülle, oft auch Logik und Glaubwürdigkeit.

Und dadurch können sich auch die Qualitäten des Films nicht erschließen, seine Sauberkeit, sein ehrlicher Verzicht auf dramatische Effekte, vor allem auch seine so wertvolle Absicht, unmittelbare Gegenwart zu gestalten.

"Gis" in: Die Union, Dresden, 6.9.1970
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Ralf Kirsten - Zur Person des Regisseurs

Geb. 1930. Nach germanistischem und theaterwissenschaftlichem Studium absolvierte er 1956 die Filmhochschule in Prag. Assistenzarbeit bei Slatan Dudow und Wanda Jakubowna. Seit 1964 Dozent für Regie an der Filmhochschule Babelsberg. Filme: "Steinzeitballade" (1961), "Auf der Sonnenseite" (1962), "Beschreibung eines Sommers" (1963), "Mir nach, Canaillen" (1964), "Frau Venus und der Teufel" (1967), "Netzwerk" (1970), "Der verlorene Engel" (1972)
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DR. MED. SOMMER II

DDR 1970. Produktion: DEFA (Studio für Spielfilme) .Regie: Lothar Warneke. Buch: Hannes Hüttner, Lothar Warneke. Kamera: Roland Graf. Musik: Gerhard Rosenfeld. Darsteller: Werner Tietze, Juliane Koren, Martin Flörchinger, Wolfgang Greese, Margret Allner

Uraufführung: 1.10.1970. Länge: 2460 Meter
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Der Zuschauer ist eingeplant

Gespräch mit Lothar Warneke, Regisseur des DEFA-Films "Dr. med. Sommer II"
Von Michael Hanisch

Ein neuer Gegenwartsfilm der DEFA steht vor seiner Premiere: "Dr. med. Sommer II". Regisseur Lothar Warneke stellt damit seine erste eigenständige Arbeit vor. Seine Kurzbiographie: Jahrgang 1936, studierte zunächst fünf Jahre Theologie in Leipzig. Danach arbeitete er in einer Baumwollspinnerei. 1960 - 1964 studierte Warneke an der Babelsberger Filmhochschule. Bei der DEFA begann er als Regie-Assistent u.a. bei "Die Abenteuer des Werner Holt" und "Lots Weib"; bei "Die Fahne von Kriwoi Rog" war er mit der Assistenz-Regie betraut. Zusammen mit seinem ehemaligen Kommilitonen von der Filmhochschule Roland Oehme drehte er dann 1969 die Komödie "Mit mir nicht, Madam!" (Auf "Dr. med. Sommer II" folgt 1972 "Es ist eine alte Geschichte". A.d.R.)

Schon der Titel seines ersten eigenen Films lenkt das Interesse des Zuschauers in eine bestimmte Richtung.

Ein Arztfilm mehr also?

"Ja und nein", sagt Lothar Warneke, "unser Film spielt zwar in einer Klinik, doch sind wir der Meinung, daß die Probleme, die dieser junge Dr. med. Sommer hat, in ähnlicher Form auch in anderen Bereichen unseres Lebens auftreten. Das Milieu und die Personen des Films sind austauschbar. Andererseits haben wir uns aber auch um große Genauigkeit bei der Zeichnung der Personen und des Milieus bemüht.
Ich glaube nämlich, daß der Zuschauer, je echter und wahrhaftiger das Filmgeschehen in den äußeren Dingen ist, um so schneller auch bereit ist, sich mit den Personen zu identifizieren. Die Frage der Wahrhaftigkeit spielt für mich bei jedem Film eine zentrale Rolle."

So wird also der Zuschauer beim Entstehungsprozeß eines Films von vornherein eingeplant?

"Ja, ich habe bei dem Film versucht, einen allgemeinen Nenner zu finden, um relativ große Zuschauerkreise zu erreichen. Gewiß, es gibt und wird wohl immer auch Filme geben, die sich nur an einen bestimmten Zuschauerkreis wenden; wir aber wollten einen Generalnenner finden. Für mich trägt ein Kunstwerk immer einen Modellcharakter. Der Zuschauer soll in diesem Modell mit Freude mitspielen und dabei unterhaltend lernen. Dem Zuschauer werden Erfahrungswerte vermittelt, die er - wie im Fallle des Dr. Sommer etwa - nur durch ein äußerst anstrengendes Medizinstudium und nachfolgende ärztliche Praxis gewinnen könnte."
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Ein Helden-Epos ?

Der Film erzählt von den Erfahrungen eines jungen Mediziners an einer chirurgischen Klinik der DDR. Der Zuschauer findet hier viel von den Problemen, Sorgen, Nöten und Freuden wieder, die Millionen bei uns täglich erleben. Könnte man dem Film gewissermaßen den Untertitel "Notizen über unseren Alltag"geben?

"Ich wäre nicht dagegen, zumindest wollten wir, daß der Film viel von unserem Alltag enthält. Wir haben versucht, das Große im Alltäglichen wiederzufinden. Viele alltäglichen, für uns selbstverständliche Dinge spiegeln ja letztlich die großen Themen wider. Der Zuschauer kennt diesen Alltag, er kann sich dadurch mit den Filmhelden identifizieren, kann die Wahrhaftigkeit des Films bei sich selbst überprüfen."

Kann man diesen jungen Dr. Sommer einen positiven Helden nennen?

"Ja, allerdings unter der Bedingung, daß auch Millionen unbekannter Bürger bei uns Helden genannt werden. Und ich bin der Meinung, man sollte sie so nennen. Leider finden wir sie noch zuwenig auf der Leinwand wieder."
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Und Vorbilder gab es auch

Gibt es Vorbilder, an die Lothar Warneke in seinem Schaffen anzuknüpfen versucht?

Der Regisseur entgegnet: "Mehrere, Michail Romms 'Neun Tage eines Jahres', die Filme Francesco Rosis, vor allem aber Dokumentarfilme. Ihre Genauigkeit wirkte befruchtend auf den Spielfilm. Sie setzten in der Frage der Wahrhaftigkeit Maßstäbe, die jetzt auch vom Publikum an den Spielfilm angelegt werden. Und dann ist vor allem Anton Tschechow für mich ein großes Vorbild. Seine Fähigkeit, mit ganz wenigen Strichen ein umfassendes Porträt zu zeichnen, seine Meisterschaft beim Beschreiben von Stimmungen.

Wenn wir auf der Straße einem Menschen begegnen, sehen wir ja zumeist nur einen ganz kleinen Ausschnitt von ihm. Tschechow versucht, in wenigen Worten das zu zeigen, was man nicht sofort sieht. Dieses 'Hinterland' eines Menschen - das möchte ich auch zeigen. Darüber hinaus ist für mich Maxim Gorki mit seiner moralischen Konsequenz, seiner grenzenlosen Suche nach dem Menschlichen auch noch im größten Schmutz für mich ein großes unerreichbares Vorbild."

Neue Zeit, 27.9.1970
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Stille Heiterkeit und Charme

"Dr. med. Sommer II", ein neuer DEFA-Film Von Christoph Funke

Eine große Freundlichkeit, eine stille Heiterkeit und ganz unpathetische Herzenswärme geht von dem DEFA-Film "Dr. med. Sommer II" aus. Leicht und beschwingt entwickelt er seine Handlung, liebenswert und ein bißchen ironisch besieht er seine Helden, voller Sympathie analysiert er unsere Umwelt. Dabei aber wird kein spaßig-unverbindliches Nebenbei abgehandelt, sondern manches sehr ernste, tief bewegende Problem angepackt - aber eben mit großer Offenheit, mit einer unverfälschten Anmut, die selbst Tragisches einzuordnen weiß in die zuversichtliche Haltung neuen sozialistischen Lebensgefühls.

Die Fragen, die Hannes Hüttner und Lothar Warneke in ihrem Film stellen, gehen zudem weit über das sicherlich unwandelbar attraktive Ärzte-Milieu hinaus. Wie sich ein junger Mensch seinen beruflichen Aufgaben stellt, welche Verantwortung er sich selbst zumißt, wie er mit den ihm anvertrauten Menschen verfährt, wie er seine individuelle Glückssuche mit den größeren Problemen in Übereinstimmung bringt, deren Lösung auch von ihm erwartet wird - das sind gewissermaßen gesellschaftliche Grundvorgänge, die nicht nur Ärzte, Schwestern, Patienten in einem Krankenhaus angehen.

Dabei vermeiden die Drehbuchautoren jede aufdringliche Gewichtigkeit bei der Begegnung ihrer Helden mit diesen großen Fragen - nicht, weil sie die Probleme kleiner machen, sondern weil sie auf den klugen Zuschauer bauen und deshalb ihre Anliegen nicht ausmalen, sondern sie nur skizzieren, anreißen, als Anregung zum weiteren Nachdenken.
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Kein rundum geglücktes Meisterwerk ??

Nun wäre es verfehlt, in "Dr. med. Sommer II" ein rundum geglücktes Meisterwerk zu sehen. Die Geschichte hat manche Längen (die Szene im Schwimmbad), neben sehr glücklichen Komplexen stehen weniger ausgereifte (so die Begegnung und Auseinandersetzung Sommers mit seiner Verlobten), nicht überall waltet die gedankliche Schärfe wie etwa in der beglückend klugen Ansprache des Chefarztes vor dem Ärztekollektiv des Krankenhauses über das Krebs-Problem.

Es ist aber gerade das Sympathische des von Lothar Warneke inszenierten Streifens, daß er ohne jeden falschen Anspruch auftritt, daß er sich zum Fragmentarisch-Andeutenden bekennt und aus seiner Lako-nie, seinen treffenden, wirkungsvollen Dialogen, seiner Beobachtungskunst (Kamera: Roland Graf) das Beste gemacht hat.

So liebevoll und so genau ist selten eine Kleinstadt mit ihren Menschen fotografiert worden, soviel Heiteres und Nachdenkliches, Nebensächliches und Grundsätzliches hat noch kaum ein Film dabei entdeckt. Und dann weiß Lothar Warneke junge Schauspieler zu führen, Gesichter und Persönlichkeiten zu entdecken, die etwas zu erzählen haben.

Die feine Versonnenheit von Werner Tietze als Dr. med. Sommer II gibt dem Film seine Wärme, seinen unverkennbaren Charakter. (.) "Dr. med. Sommer II11 ist ein Film, dessen Natürlichkeit und Charme man viele, viele Nachfolger wünscht.

Der Morgen, 15. 10. 1970
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KENNEN SIE URBAN ?

DDR. 1971. Produktion: DEFA (Studio für Spielfilme). Regie: Ingrid Reschke. Buch: Ulrich Plenzdorf, Ingrid Reschke, nach Berichten in der "BZ am Abend" aus den Sechziger Jahren von Gisela Karau. Kamera: Claus Neumann. Musik: Rudi Werion. Darsteller: Berndt Renne, Jenny Gröllmann, Harald Wandel, Irma Münch, Manfred Karge, Katja Paryla

Uraufführung: 15.1.1971. Länge: 2608 Meter
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Ins Kino gehen, es lohnt sich!

DEFA-Premiere "Kennen Sie Urban?" Von Horst Knietzsch

Ulrich Plenzdorf hat nach authentischen Geschichten der Journalistin Gisela Karau ein Drehbuch über junge Leute geschrieben, heute und hier. Junge Leute, die ihren Platz in der sozialistischen Gesellschaft suchen, andere, die ihn gefunden haben und die sich doch weiter auf dem Wege befinden, weil die Herausbildung einer sozialistischen Persönlichkeit ein Prozeß ist und nicht an einer Zielmarke abgeschlossen wird.

Einer der Helden des Films bewegt sich einige Zeit unter dem wenig förderlichen Einfluß einer stumpfen Clique auf Kollisionskurs mit der Gesellschaft, es dauert, bis der Groschen bei ihm fällt. Der Kommunist Urban dagegen ist Vermessungsingenieur, auch Kind unseres Staates, und die beiden lernen sich im Krankenzimmer kennen.

Urban ist durch seinen Beruf in der Welt herumgekommen, dem unruhigen Hoffi imponiert diese romantisch-abenteuerliche Arbeit und der Urban schließlich überhaupt. Der hat eine Meinung, weiß, was er will, schenkt seinem Partner nichts, kann sogar unbequem sein, ist für klare Fronten. Hoffi verspricht Urban, ihn auf einer Baustelle im Norden der Republik zu besuchen. Geht auf die Reise, es dauert seine Zeit, bis er ihn findet, und da hat er inzwischen schon viele Urbans entdeckt, denen er sich verbunden fühlt.

Also Freude, Friede, Eierkuchen könnte Hoffis mitziehender Bruder sagen, der Keule gerufen wird. Irrtum. Das Lichtspiel enthält eine Fülle heiterer, besinnlicher, höchst bedenkenswerter Episoden, aber auch Konflikte, Probleme, Schwierigkeiten, die sich im Alltag und im Zusammenleben der Menschen ergeben.

Wenig pädagogische Sentenzen

Erfreulich, daß die Gestalten des Films herzlich wenig mit pädagogischen Sentenzen um sich werfen. Das schafft Lebensnähe, erleichtert es dem Zuschauer, sich mit dem Geschehen auf der Leinwand in Beziehung zu setzen.

Ingrid Reschke hat das freundlich-sinnvolle Spiel in Szene gesetzt. Ein schöner persönlicher Erfolg für die Regisseurin, von der wir bisher die Filme "Daniel und der Weltmeister" (1963), "Wir lassen uns scheiden" (1967) und "Der Weihnachtsmann heißt Willi" (1969) kennen.

Als Ausgangspunkt für ihren Film formulierte sie: "Was die innere Beweisführung betrifft, so ging es darum, in einer nacherlebten Handlung zu zeigen, daß unsere Gesellschaft eine hilfsbereite und eine hilfreiche Gesellschaft ist. Seinen privaten Konflikt muß jeder selber lösen, aber die Gesellschaft gibt ihm die Chance, sich zu entwickeln, indem er ihn löst."

Hier sind denn in der Tat auch die gesellschaftlichen und pädagogischen Provinzen des Films zu entdecken. Das hebt ihn ein gutes Stück über jene Spiele, die sich auf die Formulierung von Freundlichkeiten beschränken, in denen Irrtümer und Mißverständnisse an die Stelle von Konflikten gesetzt worden sind. Ganz frei ist der Film allerdings auch noch nicht von der vereinfachenden dramaturgischen Auffassung, daß zur Lösung eines Konflikts immer gleich ein Löser zur Hand sein muß. (.)

Neues Deutschland, 20. 1. 1971
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1972 für mich völlig neu - ein weiblicher Regisseur

Kennen Sie Ingrid Reschke, das einzige weibliche Wesen im Kreis der DEFA-Spielfilmregisseure? Sie ist bisher mit drei Filmen bekannt geworden; zwei waren für Kinder, und einer handelte von Kindern.

Ingrid Reschkes Fähigkeit, die kindliche Psyche zu erfassen und minderjährige Darsteller zu natürlichem, also absolut glaubhaftem Spiel vor der Kamera zu bewegen, galt schon als exemplarisch. Nun hat sie sich mit ihrem neuen Film in die nächsthöhere Altersklasse begeben.

Die titelwirksame Frage "Kennen Sie Urban?" stellt ein Jugendlicher Spitznamens Hoffi, und der ist alles andere als ein Held ohne Fehl und Tadel, bei dessen Anblick jedes FDJ-Sekretärsherz lacht. Als Ältester von mindestens acht Geschwistern wächst er unerzogen als sicherer Kandidat für den Jugendwerkhof heran. Von der haltlosen Mutter hat er nichts zu erwarten, nicht einmal einen Vater, da sie deren schon zuviel ins Haus gebracht hat. Für eine Körperverletzung, begangen, um seinen Kumpanen zu imponieren, muß er achtzehn Monate sitzen. Danach darf er noch drei Monate liegen, denn in der Haft hat er sich eine Gelbsucht zugezogen. Im Krankenhaus lernt er Urban kennen, den jungen Kommunisten, Draufgänger, Allerweltskerl, der für Hoffis Leben Leitmotiv und Wegweiser werden soll. Auf der Suche nach Urban findet er zu sich selbst, lernt arbeiten, lieben, Verantwortung tragen, wird am Ende wirklich so etwas wie ein Held ohne Fehl und Tadel.

Ein Zeitbild über die Jugendlichen unseres Landes

Dieses Sujet für eine Filmgeschichte bietet jede Möglichkeit für ein künstlerisch gültiges Zeitbild über die Jugendlichen unseres Landes. Doch ich fürchte, daß Ingrid Reschke und ihr Szenarist Ullrich Plenzdorf ("Weite Straßen, stille Liebe") derart hochgesteckte Erwartungen nicht erfüllt haben. Selbst verwirrende Schnittmontagen täuschen nicht darüber hinweg, daß die Fabel reichlich glatt und konfliktlos verläuft.

Das Vorbild Urban liegt im Krankenhaus und monologisiert (darstellerisch übrigens äußerst unergiebig für Manfred Karge) über sein aufregendes Leben als Geometer, das ihn immer im entscheidenden Moment an die Brennpunkte des Erdballs versetzt hat. In siebzehn Ländern ist er gewesen, Algerien, Kuba und Vietnam nicht ausgenommen.

Meiner Ansicht nach weckt ein solcher Mann in jedem normalen Jugendlichen unstillbares Fernweh und nicht revolutionäre Begeisterung für den ungleich weniger abenteuerlichen sozialistischen Alltag zuhaus. Aber Hoffi ist gegen Anfechtungen dieser wie jener Art gefeit. Das Bedürfnis, nicht mehr zu straucheln, seiner "Keule", dem jüngeren Bruder, Vorbild zu sein, macht ihn beinahe zum Pedanten. Man fragt sich erstaunt, wie dieses Muster an Charakterfestigkeit überhaupt zu seinem sogenannten Vorleben gekommen ist.

Eine frühe Story wie beim Traumschiff der 2010er Jahr

Hilfe braucht Hoffi erst wieder, als er sich fast gegen seinen Willen in eine Liebesbeziehung verstrickt, die nicht ohne Folgen bleibt. Und die Hilfe ist auch prompt und mütterlich zur Stelle. Fürsorgerin Wanda hat Makarenkosches Format; sie tut mehr, als die Polizei erlaubt. Auch in Hoffis Brigade ist eitel Arbeitsfreude und Unvoreingenommenheit. Selbst seine Mutter mit den vielen Kindern, für die offenbar niemand einen Krippen- oder Kindergartenplatz übrig hat, entsteigt wie Phönix asozialen Bereichen als tatkräftiger Kumpel und elegante Frau.

Moralische Flecken auf der Weste haben lediglich die Eltern des Mädchens (Jenny Gröllmann), fortschrittliche Intellektuelle, die, wenngleich nicht recht glaubwürdig, durch die Existenz eines vorbestraften Schwiegersohnes und eines unehelichen Enkelkindes zu Spießern par excellence werden. Der Besuch des Films lohnt sich wegen eines Laiendarstellers, des neunzehnjährigen Bauarbeiters Harald Wandel. Er spielt die Rolle von Hoffis "Keule" so hinreißend, daß immerhin an ihm Ingrid Reschkes ungewöhnliches Regietalent deutlich wird.

Renate Holland-Moritz in: Eulenspiegel, 1. Februar-Ausgabe 1971
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DER DRITTE

DDR 1972. Produktion: DEFA (Studio für Spielfilme, Künstlerische Arbeitsgruppe "Berlin").Regie: Egon Günther. Buch: Günther Rücker und Egon Günther, nach Motiven der Erzählung "Unter den Bäumen regnet es zweimal" von Eberhard Panitz. Kamera: Erich Gusko. Musikberatung: Karl-Ernst Sasse. Darsteller: Jutta Hoffmann, Barbara Dittus, Rolf Ludwig, Armin Mueller-Stahl, Peter Köhncke, Erika Pelikowsky

Uraufführung: 16.3.1972. Länge: 2700 Meter« Farbe

Inhalt:

"Der Dritte" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, Mitte Dreißig, ihr Arbeitsgebiet ist der Computer, sie denkt und fühlt unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution. Aber sie ist allein.

Nach zwei enttäuschenden Erlebnissen will sie die Wahl des dritten Partners nicht dem Zufall überlassen. Zunächst verhindern jedoch alte Denk- und Verhaltensweisen, daß sie diesem Mann klar und offen sagt, daß sie ihn mag, daß sie ihn haben möchte. Immer wieder sieht sie sich dem Problem gegenüber, nicht aktiver Teil der Partnerwahl sein zu können, ohne Gefahr zu laufen, sich lächerlich zu machen, den Mann eventuell abzuschrecken, ihre Umwelt zu schockieren.

Sie spürt zu ihrer eigenen Überraschung, daß nur größte Überwindung in ihr selbst es möglich macht, mit dieser jahrhundertealten Tradition zu brechen.
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"Der Dritte" von Peter Ahrens

Ich mag diesen Film, auch oder gerade deshalb, weil ich mich stellenweise an ihm reibe, zu Fragen, Widerspruch und Neu-Hinsehen gereizt fühle, mit Figuren und ihren Handlungen, mit den Regisseuren und Schauspielern und ihrer Art, zu erzählen, in eine Art Dialog trete, während ich mit Spaß, Genuß, Teilnahme hinschaue. Und das ist beabsichtigt.

Der Zuschauer wird nicht von der fiktiven Realität auf der Leinwand aufgesaugt, er wird aber auch nicht mit intellektueller Attitüde und stilistischen Spitzfindigkeiten auf Staune- und Denkedistanz gehalten. Der Film öffnet sich zum Zuschauer, Vertrauens-, aber auch anspruchsvoll: "Hier ist eine Frau, hier sind fünfzehn Jahre ihres Lebens, ihre Männer, ihre Arbeit, ihr Anspruch auf Liebe, ihre bitteren Fragen und ihr - seltsames? Tun.

Es gibt andere Frauen, Geschichten, Haltungen - uns, Autor, Regisseur, Schauspieler, Kameramann, interessierte diese. Wir erzählen sie so, wie wir sie lustig, wichtig finden. Man kann sie anders erzählen, sieh sie dir mal mit uns an." Das ist schon etwas höchst Bemerkenswertes: Ich glaube, daß hier Methoden und Haltungen, die Brecht für das Theater selbstverständlich gemacht hat, auf den Film nicht mechanisch übertragen, sondern organisch - Gattung, Genre, Stoff gemäß - angewandt werden.

Egon Günther - als er noch in der DDR war ...

Egon Günther hat in keinem Film so überzeugend und selbstverständlich seine Ansichten von Menschen und von unserem Leben, vom Filmemachen und Filmeanschauen, von Wirklichkeit und Spiel realisiert wie im "Dritten".

In früheren Filmen glitt manches in Routine, Spielerei ab, Absichten wurden ausgestellt. Hier ist alles sicher, genau, beherrscht, ohne an Spiellaune, Spaß an der Sache und am Metier zu verlieren. Vielleicht eine Lehre: Auch Verspieltheiten sind bei künstlerischen Anfängen als Zeichen für die Potenz zum echten Spiel, ohne das Kunst ja gar nicht zustande kommt, wertvoll und entwicklungswürdig; von Günther sind in etwa acht Jahren fünf Filme herausgekommen, zuwenig, um ihn selbst möglichst schnell zu seinen eigentlichen Möglichkeiten finden zu lassen und um unserer an eigenwilligen Begabungen bislang nicht überreichen Filmkunst maximal zu nutzen.
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Die zweite Besonderheit des Films:

Die Selbstverständlichkeit, mit der hier Menschen im Sozialismus leben, ihre Ansprüche anmelden und zu erfüllen suchen, sich und die Umwelt als durchaus nicht problemlose Einheit sehen; die Selbstverständlichkeit, mit der über sie erzählt wird.

Hier wird nicht die DDR "bewußtgemacht" oder "attraktiv" (obwohl sich mal wieder alles in Neubauten abspielt), hier wird nicht einem Zuschauer, der ja selbst den Sozialismus in seinem Land jeden Tag arbeitend erlebt und bestimmt, "das Leben" erklärt.

Es leben Menschen auf der Leinwand, die sich ihrem Charakter und ihren Bedürfnissen entsprechend äußern und verhalten. Es wird aufgefordert zum Beobachten, Untersuchen, Spaß haben, Mit- und Nachdenken.

Nicht nur die Fragen der sozialen Befreiung, sondern auch die Forderungen an die Zukunftslösungen im moralischen Raum werden von Frauen radikaler gestellt als von den meisten Männern - der Film macht darauf aufmerksam. Er gibt seiner Hauptheldin eine Lösung (mit Fragezeichen, siehe oben!), aber er macht in der Nebengeschichte ihrer Freundin, die ihren Freund davonschickt, weil sie "richtig lieben" möchte (sie weiß nur nicht, wen), auf die Fragwürdigkeit von Lösungen und "Schlüssen" aufmerksam.

Vom Kontext her gfährlich : Kritische Probleme von Menschen

Der Film behandelt kritische Probleme als von Menschen erlebte, gestellte und zu lösende, er behandelt sie weder als Tabus noch als Sensation, er hat damit die einzige Position, aus der wir wahrhaftige Geschichten über uns erzählen können. Er wagt sich - warum sagen wir "wagt sich"!? - an eine Situation zwischen den beiden einsamen Frauen, wo das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und die Intimität des Wissens voneinander umschlagen in erotische Intimität. Das geschieht mit Ehrlichkeit und Takt - wer hier lacht oder schockiert ist, sollte über sich selbst nachdenken.

Und schließlich: die schauspielerische Qualität - nicht nur, aber vor allem bestimmt durch Jutta Hoffmann. Nicht zum ersten Male stellt Günther einen Film auf diese Schauspielerin. Aber auch hier erreicht die Zusammenarbeit eine neue Qualität. Die Hoffmann "schreibt" die Rolle mit und neu, ihr Spiel bestimmt die offene Haltung des Films, zwischen den Polen Selbstironie und dramatische Identifikation rührt und erheitert sie, macht produktiv. (.)

Die Weltbühne, Nr. 11, 14.3.1972
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Zunächst: Günther ist selbst Schriftsteller.

Aber er weiß klug Fähigkeiten anderer zu nutzen, kollektiv zu arbeiten, den Autor Günther ganz den Erfordernissen des Regisseurs Günther unterzuordnen. Mit untrüglichem "Instinkt" probiert er sich und seine Möglichkeiten immer wieder aus, wagt, wagt nochmals - und gewinnt. Er ist ein Verfechter der Wahrheit. Er sucht sie künstlerisch sichtbar zu machen.

Die Hauptfiguren des Films werden sozial eingeordnet. Sie werden an ihrem Arbeitsplatz vorgestellt. Der Regisseur befragt die Beteiligten - Laien -,dazu die Schauspieler im Bild nach Arbeitsmerkmalen, Entlohnung. Die Einbeziehung von wahrheits-fordernder Wirklichkeit pflanzt sich in anderen Szenen fort.

In diesen Rahmen gestellt die Charaktere. Oberstes Prinzip der Schauspielerführung: Wahrheitsfindung im privaten Bereich. Arbeit an der genauen Haltung. Ohne Scheu vor menschlicher Reaktion, ob leise oder extrem. Bekenntnis zu erotischer Empfindung.

Schönste, ausdrucksreichste Szene:

...... die Begegnung zwischen Margit und Lucie, eingesponnen in Zuneigung, Einsamkeit, Zärtlichkeitsbedürfnis. Zu diesem gesamten Komplex gehört die gemeinsame optische Gestaltung (Kamera: Erich Gusko). Es wird in Farbe erzählt, normalformatig. Die Szene wird nicht vom Interieur gefüllt, sondern vom Menschen. Die immer in Bewegung befindliche Großaufnahme bestimmt das Bild. Hintergründe erzählen wie nebenbei mit. (.)

Dieser Film ist Anlaß, froh zu sein. Er stößt an. Er paßt in unsere Zeit. Er macht unruhig und Lust zur Diskussion. Es ist ein Film der großen Dimension, geschaffen aus dem Bewußtsein, Sieger der Geschichte zu sein. Das gibt ihm den Platz heute und für die Zukunft.

Margit Voss, "Von großer Dimension",  - In: Filmspiegel, Nr. 6, 15.3.1972
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Aber wenn mir ein Mann gefällt.

Von Camilla Warnke

Egon Günthers und Günther Rückers Film "Der Dritte" ist aufregend genug, um nicht nur bei Filmleuten intensive Auseinandersetzungen auszulösen. Der Erfolg des Films ist nicht vor allem ein Erfolg künstlerischer Perfektion. Unbestritten, daß der Film gut gemacht und gut gespielt ist. Aber er verdankt nicht in erster Linie seinen ästhetischen Qualitäten das lebhafte Interesse, das er bei alt, jung und vor allem bei mittelalt erweckt hat. Gestritten wird um die Fabel, genauer: um das, was sich in ihr an gesellschaftlicher Wirklichkeit abzeichnet. Symptom dafür ist die Tatsache, daß sich angesichts dieses Films vor allem die Frauen heftig ereifern und geradezu in zwei Lager spalten: in Parteigängerinnen und Entrüstete. Gleichgültig läßt er keinen.
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Ausschnitte aus anderen Kritiken

Ich gehöre zu den "Parteigängern" des Films. Schon deshalb, weil er Diskussionen angeregt hat, produktiv über den Status quo hinauszudenken und spontan sich entwickelnde, zunächst nur vereinzelt auftretende Problemlösungsversuche auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit hin zu prüfen.

Das aber ist nicht nur legitim, sondern notwendig, weil gesellschaftliche Wirklichkeit auch von ihrer Zukunft, von ihren Zielsetzungen her bestimmt wird. (......)

Deshalb fordert mich eine Lesart, die die Problematik des Films auf alten Wein in neuen Schläuchen reduziert, zum Widerspruch heraus: "Margit wird zweimal von Männern enttäuscht und beschließt mit Erfolg, sich den dritten selbst auszusuchen. Solche Entscheidungen von Frauen sind nicht so neu." Wenn das wirklich das Substrat des Films wäre, dann könnte man wirklich sagen: "Na und?" Man kann aber eben nicht. Ignoriert wird die wesentliche Differenz, die spezifische gesellschaftliche Prägung, das unverwechselbar Sozialistische, das diesen - äußerlich gesehen - gesellschaftsindifferenten Vorgang auszeichnet. (.....)

Keine Schlacht der Geschlechter ....

Im "Dritten" wird niemand geprellt oder erobert. Hier findet nämlich keine Schlacht der Geschlechter statt, in der es Sieger und Besiegte gibt. Es geht im Gegenteil vielmehr um die Überwindung des Antagonismus der Mann-Frau-Beziehung in der unmittelbaren Liebessphäre, Konkret: Margit Fließer kehrt traditionelles Rollenverhalten nicht ein übriges Mal um, sondern sprengt seinen Rahmen, geht über ihn hinaus.

Nicht mit der List des Sklaven, nicht mittels weiblicher Intrige wird hier gekämpft und der Anspruch angemeldet, auch in bezug auf die Wahl des Partners gleichberechtigt zu sein. Unverstellt sagt Margit dem Mann ihrer Wahl, daß sie ihn will:

"Ich arbeite schon zwei Jahre prognostisch, mein Arbeitsgebiet ist der Computer, der Rechner. Ich denke und fühle unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution. Aber wenn mir ein Mann gefällt, wenn ich ihn brauche zum Leben, wenn ich ihn haben will, dann mache ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch lächerlich, wenn ich ihm das sage. Nein! Will ich ans Ziel, muß ich meine Liebe verheimlichen, mein Verlangen tief verstecken, unkenntlich machen, denn das stößt ihn womöglich ab; denn er, er ganz allein darf sich das erlauben. Ganz wie zu Großmutters Zeiten."

Hier wird also niemand überlistet. Keiner wird getäuscht und zur Selbsttäuschung verführt. Der Gewählte wird vielmehr frei gemacht zu wählen, weil er sich mit Sachkenntnis entscheiden kann, und die Wählende drückt sich nicht vor dem Risiko ihrer Wahl. Indem aber der Wählende zugleich zum Gewählten und der Gewählte zum Wählenden wird, indem jede dieser Positionen sich um ihr Gegenteil bereichert, werden die Rollen flexibel, wird die Funktion zu wählen variabel in bezug auf die Geschlechtszugehörigkeit.

Dieser Vorgang aber ist nichts anderes als Verlängerung und Fortsetzung eines Prozesses, der auf der ökonomischen, beruflichen und sozialen Ebene der Emanzipation der Frau in vollem Gange ist und in dem Berufe, Funktionen, juristische Rechte längst variabel geworden sind. (.......)

Eine Story in der DDR Ende der sechziger Jahre

Margit Fließers Geschichte ist nicht "trotz allem" die Geschichte eines Bürgers unserer Republik, sondern spielt unverwechselbar hier und heute - in der DDR Ende der sechziger Jahre. Daß es möglich geworden ist, einen realistischen Film über Probleme zu drehen, in dem das Reich unmittelbarer Notwendigkeit ökonomischer, politischer, beruflicher Frauenemanzipation überschritten werden kann, spricht für uns.

Und auch das Untragische, Sachliche am Ende des Films - da muß man eben mal sehen, wie das gehen wird - spricht für uns. Es ist Ausdruck einer Entwicklung, die unsentimentale, klarsichtige Frauen hervorgebracht hat, die wohl wissen, daß auch jenseits des Antagonismus die Widersprüche nicht aufhören werden, und die bereit sind, sich ihnen zu stellen, aber nicht bereit, sie zu verkleistern.

Forum, 1. Mai-Ausgabe 1972
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Gedanken im Widerstreit (Leserbrief)

Einige Rezensenten machen es sich leicht. Die sehen ein Kunstwerk und passen es dann in ihr theoretisches Gebäude ein. Camilla Warnkes Gedanken habe ich hin und her gewendet.

Nachdem ich den Film "Der Dritte" gesehen und viel darüber nachgedacht hatte, konnte ich auch aus diesen Darlegungen eigentlich nicht das entnehmen, was wir jetzt brauchen. Die Frage steht doch so: Welche Chance hat die Liebe in der Welt der Computer, der technischen Perfektion, selbst befreit von allen Ängsten und Fesseln?

Versachlicht sie, ersetzt Berechnung das Gefühl? Nur von dieser Warte aus vermag ich auch den Film "Der Dritte" zu sehen. (.) Es werden heute schon viel mehr Männer von den Frauen erwählt - und sie machen es sich gewiß nicht so schwierig, wie es hier dargestellt ist. Nicht das Erwählen ist wohl so sehr darstellungswürdig als das Miteinanderleben. Es wäre der Thematik dienlicher gewesen, der Film hätte erst dort angefangen, wo er zum Schluß kommt. (......)
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Der dritte Mann bleibt zu sehr im Zwielicht.

Wir sagen immer: Gemeinsame Interessen binden die Liebe. Es bleibt im Film unsichtbar. "Der Dritte" dringt nicht auf den Grund der Dinge, Margit erlebt Tragödien, die ihr Wesen bis auf den Grund erschüttert haben müssen.

Doch dies wird ausgespart. Warum eigentlich? Ein verunglücktes Spielchen mit Folgen - unvorstellbar bei dieser Frau, Das gleich zweimal. Muß das nicht scharfe Spuren haben? Und wie tief beim "Dritten" - und wer sagt, daß es der "Richtige" nun ist? Wenn wir anspruchsvoll sind, sehen wir die Mängel und Schwächen dieses Filmes.

Er reduziert mir die Liebe zu sehr auf bestimmte Handlungen ohne verinnerlichte Tiefe, Es ist aber wirklich an der Zeit, die ganze Wahrheit zu sagen. Der Kongreß der Film- und Fernsehschaffenden postulierte es. So bin ich über den Film im Widerspruch meiner Gedanken, "Der Dritte" ist ein Anfang. Halten wir ihn für besser als er ist, so tun wir uns selbst keinen guten Dienst,

Gudrun Draheim, Greiz. In: Forum, 1. Juli-Ausgabe 1972
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Herausgeber:

Freunde der Deutschen Kinemathek e.V. - Berlin 30, Welserstr. 25
Redaktion: Erika Gregor, Ulrich Gregor
Für freundliche Unterstützung danken wir: Manfred Durniok und Michael Hanisch.
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Nachtrag in 2021 - Egon Günther war zu unbequem geworden

Biermann bei Einreise-Versuch

Im Herbst 1976 - das wußten die Macher in dem Berliner Verein in 1972 aber noch nicht - , suchten die Politbüro Bonzen unter Honnecker einen gesichtswahrenden Weg, um den bekannten kritischen Liedersänger Wolf Bierman - er war ein ehemaliger West-Bürger - irgendwie loszuwerden. Nerven-Gift wie in Moskau war nicht opportun, dazu war er zu gut bekannt und mit der kleinen Künstler-Szene im Ossiland zu gut vernetzt.

Man erlaubte ihm (oder besser - "man empfahl ihm"), im November 1976 ein Konzert bei der Kapitalisten- Gewerkschaft in Köln. Und dann verweigerte man ihm mit typischen sozialistischen Argumenten die sogenannte "Wiedereinreise" ins Arbeiter- und Bauern-Paradies.

Nach nur kurzer Zeit wurden eine größere Anzahl Gleichgesinnter, die bei der STASI ja alle wohlbekannt waren, indirekt unter Androhung ernsthafter Repressalien aufgefordert, Biermann nahezu unerkannt zu folgen. Manfred Krug als ebenso kritischer Film-Star und Frei-Geist war bei dieser 1977er Ausreise- Gruppe mit dabei. Ein angedrohtes Auftrittsverbot war bei allen Künstlern sehr wirksam.

Egon Günther war auch mit dabei und "verließ" seine DDR.

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