Am 11. und 12. Mai 2012 gab es einen ganz besonderen Doppel- "Event" in einem Vorort von Wiesbaden - in Wiesb-Dotzheim.
Die Wiesbadener Uwe Schriefer und Harald Kuntze realisierten / veranstalteten einen "zweiabendlichen" Openair- Kinoabend für in die Jahre gekommene Kino-Nostalgiker.
Alte 35mm Ton- und Stummfilme von vor 50 und 60 Jahren wurden gezeigt. Und natürlich die ersten Kino-Werbefilme in Farbe. Das ist selten - und darum war ich auch dort.
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Angepriesen wurden die beiden Abende mit dem nebenstehenden Blättchen :
2012 - Eine "Hommage an die Römer-Lichtspiele in Wiesbaden-Dotzheim"
Das Heimatmuseum öffnet am Freitag 11. Mai um 20 Uhr seine Pforten bis Filmbeginn zur Sonderausstellung „Werbefiguren".
Kurze Einführung in die Veranstaltung und die Filme von Uwe Schriefer und Harald Kuntze
Vor genau 75 Jahren öffneten die Römer-Lichtspiele in der Römergasse 12 ihre Türen. Das Kino wurde (dann 2 Jahre später) von Karl Huthmann betrieben. Der Saal mit etwa 300 Plätzen war früher auch ein Tanz- und Mehrzweck-Saal und gehörte zu einer Gastwirtschaft.
Er lag hinter einem großen Hoftor im hinteren Teil des Hofes in einer Art Hochparterre. Über eine große Steintreppe gelangte man hinauf zum Kassenhäuschen, weitere Stufen führten bis in den eigentlichen Kino-Saal.
1946 übernahm Karl Huthmann dann zusätzlich die Parklichtspiele am Schlosspark in Biebrich für ein paar Jahre. 1952 öffnete in Dotzheim in der Römergasse 7 das Rex als Konkurrenz zu Huthmanns Kino, war aber kurz danach (vorausgesagt und eingetroffen) am Ende und wurde ebenfalls von Karl Huthmann übernommen.
Etwa 1958 bis 1960 war der Boom dann zu Ende und die Kinos wurden umfunktioniert oder abgerissen. Die Dotzheimer mussten ab jetzt in die Stadt, wenn Sie ins Kino wollten.
Realisation:
Uwe Schriefer, Harald Kuntze
Veranstalter:
Vereinsring 1965 Dotzheim und Heimat- und Verschönerungs- verein Dotzheim e.V. in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt
Achtung!
Freitags und Samstags ist nicht geheizt!
Einlass und Stuhl zum Sitzen kann nur gegen Abgabe eines genügend großen Stückes Holz zum Heizen gewährt werden. Eintrittskarte gegen Spende.
Eigentlich war dieser "Zusatz" eine Anspielung auf die sehr schweren Zeiten von 1946 . . .
als dieser extrem kalte Winter den Überlebenden des Krieges und den besiegten Bewohnern das Leben so schwer machte. Da die gesamte Infrastruktur total zusammengebrochen war, gab es gar nichts, nicht mal Brennholz oder gar Kohle.
Und darum gab es ja den heute so lustig klingenden Aufruf an die Wenigen, die sich überhaupt ein paar Stunden des Vergnügens im Kino leisten konnten, sie mögen, nein, sie müssen Brennmaterial mitbringen, um sich eine Kinokarte kaufen zu können. Das kling zwar fast schon makaber, aber es war so, die Betreiber konnten die Kinos nicht mal auf erträgliche 15 Grad heizen - bei wochenlangen 20 Grad unter Null.
Was gab es dort zu sehen ?
Herr Schriefer hat einen alten 35mm Bauer Koffer Projektor mitgebracht und aufgebaut. Der Projektor ist ebenso ein nostalgisches Stück Technik wie fast der älteste aller Filme. Der Stummfilm von dem Wiesbadener Filmemacher Edy Dengel von 1919 war natürlich älter und das war ein ganz besonderes Ereignis, doch mehr davon weiter unten.
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Es ging los mit diversen Kino-Werbefilmen . . .
. . . bei denen die meisten Zuschauer schon nicht mal mehr lachen konnten, so trivialblöde waren diese 50 Jahre alten urigen Texte aus unserer heutigen Sicht.
So wurde die "überaus gesunde" Margarine beworben, jedoch nur, wenn sie von Mutti aufs Brot gestrichen wurde und von diesem speziellen Unternehmen komme, das man heute überhaupt nicht mehr kennt, selbst wir mit Baujahr 1949 nicht mehr.
Auch der Trailer über die Erzeugung der Deutschen Markenbutter war absolut komisch, denn auch diese Butter war "urgesund", keinerlei Anzeichen von Colesterin oder gar totaler Überfettung, aber auch nur, wenn es sich um "DEUTSCHE" Markenbutter handele. Anscheinend war die Butter aus Holland und Dänemark vergiftet oder gesundheitsschädlich, sooft wurde das wiederholt.
Die Filmchen über das Sparen und über die Sparkassen waren schon fast geschäftsschädigend, jedenfalls für die Wiesbadener Nassauische Sparkasse, so "trivial" (das ist jetzt sehr wohlwollend ausgedrückt) waren die damaligen Sprüche und Werbeaussagen. Die Volksbanken blieben aber verschont.
Die historische Eugen Bauer Kino- maschine hat wacker durchgehalten.
Für die älteren Technik-Fans war es beeindruckend, daß der Bauer Projektor die 2 Abende mit fast je 2 Stunden klaglos überstanden hatte. Der Film hatte sich zwar mehrmals (aus dem Projektor heraus) lautstark zu Wort gemeldet, war aber nur einmal gerissen bzw. aus der Perforation gelaufen.
Chefvorführer Uwe Schriefer hatte das aber super im Griff und alle "griffbereiten" Werkzeuge, die mir sofort aufgefallen waren, wurden dann doch nicht gebraucht.
Die 1000 Watt Röhren-Lampe hatte zwar öfter Mühe, die vergilbten und verblaßten Zelluloyd-Streifen zu durchdringen, doch das hat den gewollt nostalgischen Effekt angenehm verstärkt.
Hier trägt sich Frau Koriath, geborene Huthmann, in das Gästebuch des Dotzheimer Heimat Museums ein. Frau Koriath hatte mir, dem Autor gr dieser Webseiten, den Ordner Ihres Vaters Karl Huthmann zum Sichten und Einscannen überlassen, aus dem ich so viele tolle alte Plakate und Poster, sowie vielen Programme und Handzettel ab 1939 entnehmen konnte.
Die Zuschauer/Gäste haben zwar sowohl am ersten als auch am zweiten Tag tüchtig gefroren, die meisten hatten "zum Heizen" natürlich eher "ein paar Euros" anstelle von Briketts oder halben Baumstämmen dabei.
Leider kam nämlich nach einer wunderbar warmen Woche just an diesem Abend ein Unwetter mit einem wirklich brachialen Temperatursturz von +30 auf nur noch +15 Grad angedonnert, eine plötzliche "Kälte", die so nicht eingeplant war. Doch es hat sie dennoch alle sichtlich erfreut. Alleine der Blitz der Kamera war viel zu hell.
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Ein Blick in die anderen Filme und Filmchen
Wie man an diesem Bild sehen kann, waren manche Filme noch tadellos in Ordnung.
Es ist unschwer zu erkennen, daß es auch mal Zeiten gab, in denen die Kühe noch nicht lila angemalt waren.
Seltene Bilder vom alten Wiesbaden
Es gibt nur ganz wenige laufende (bewegte) Bilder aus dem Wiesbaden nach dem Krieg. Es wurden zwar diverse Filme hier gedreht, doch Wiesbaden als Stadt trat da nie auf.
Hier die Rückseite des Wiesbadner Staatstheaters
und als nächstes der Eingang des Landesmuseums Wiesbaden, der heute fast noch genauso aussieht.
Die lustigen alten Autos . . .
Es ist auch für Profis nicht ganz einfach, recht dunkle alte Filme direkt von der laufenden Leinwand scharf und sauber abzufotografieren.
Und da sich die kurzen Szenen laufend schnell bewegen, sind die meisten Schnappschüsse unscharf geworden.
Auch Politiker waren oft die Stars der damaligen Wochenschaun.
Leider liefen diese Szenen so schnell ab, daß hier alle Bilder unscharf sind.
DeGaulle ist mühsam zu erkennen und Altbundeskanzler Konrad Adenauer neben dran nur durch seine kleine Größe.
Chrustschow war natürlich auch in Paris zu Gast und hier ist DeGaulle etwas besser zu erkennen
Am Besten ist John F. Kennedy dank seines Lächelns zu erkennen.
Und damit war die verlängerte Wochenschau vorbei.
Wie gesagt, die Szenen und Bildwechsel waren bei dieser schwachen Lichtstärke zu schnell für meine Kamera und die Bilder haben mehr eine symbolische Bedeutung. Das Bild von den damals brand neuen und sensationellen Bikinis mit extrem schlankem Inhalt wäre zwar besonders hübsch anzuschaun, doch schließen wir diesen Teil hier lieber ab.
Inzwischen waren es nur noch 10 Grad
Am zweiten Tag sank die Temperatur abends um 22.3o noch steiler ab als am ersten Tag, an dem der Boden noch eine gewisse gespeicherte Wärme abstrahlte.
Doch es kamen sogar mehr Zuschauer als am ersten Tag. Alle Stühle waren besetzt. Als Highlight wurde ein aufgearbeiteter und umkopierter Zelluloid-Film von 1919 des damals sehr bekannten Wiesbadener Filmemachers Edy Dengel gezeigt, der nur selten gezeigt wurde : "Das Schloss des Schreckens". Es war einer der allerersten Krimis, dessen Handlung komplett im Wiesbadener Vorort Biebrich gespielt hatte.
Sicher entsprach das "Storyboard" nicht mehr heutigen Tatort Vorgaben und war teilweise etwas verwirrend, doch es war erstaunlich, mit welch geringen Mitteln damals ein 40 Minuten Kriminal-Film gemacht wurde.
Zu diesem seltenen Ereignis ist fast die gesamte Famile Dengel erschienen, um sich die Arbeit des Großvaters von vor fast 100 Jahren nochmal anzuschaun.
Der krönende Abschluß war völlig unvor- hergesehen der eiskalte Edy Dengel Film von 1929, als der Rhein zugefroren war.
Es muß damals sehr sehr kalt gewesen sein und Atomkraftwerke und andere, die den Rhein um 4 bis 8 Grad aufwärmten, gab es mit Sicherheit nicht. Übrigens werden diese Atommeiler inzwischen wieder weniger, also mal sehen.
Jedoch die inzwischen auf unter 0 Grad gefühlte 23.00 Uhr Abendtemperatur passte ziemlich genau zu den Bildern mit den dicken Eisschollen, die manch ein Zuschauer inzwischen unter seinen Füßen vermutete.
Der aufwärmende Applaus am Ende der 2 Stunden galt den beiden Initiatoren Uwe Schriefer und Harald Kuntze und ihren Helfern, die sich so viel Mühe gemacht hatten, um uns als Gäste mit etwas ganz Besonderem zu erfreuen.
Das erste Bild zeigt den Rhein bei Bingen mit dem weltbekannten Mäuseturm.
Die letzten beiden Bilder zeigen die Biebricher Uferpromenade mit einem imposanten Gebäude von 1929 rechts neben dem Biebricher Schloß, damals jedenfalls.
Das war ein Einblick in zwei besondere Abende in Wiesbaden Dotzheim im Mai 2012.