Artur Brauner's Biografie aus 1976
Artur Brauner's Traum war schon in jungen Jahren, Filmschauspieler zu werden oder einmal selbst Filme zu "machen" - und dieser Traum war so ähnlich wie bei dem Kollegen Will Tremper. Beide waren unter anderem ihre Ideengeber und ihre Produzenten. Beide hatten einen sehr unterschiedlichen Erfolg. Brauner war der taktische Kopf seiner CCC und hatte auch ein Händchen fürs Geld. Will Tremper hatte die fantastischen genialen Ideen und war darum fast immer kurz vor der Pleite. Beide hatten ihre Ideale und Prinzipien, die sie in ihren Filmen vermitteln und darstellen wollten und konnten und beide entdeckten hier bei uns in Deutschland West viele junge Talente. - Die einführende Seite steht hier.
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Einleitung - Die Kuh meiner Träume
Sie stand auf einer Wiese an den Ufern der Weichsel. Sie war rotbunt, was in dieser Gegend ungewöhnlich war. Auf der Stirn hatte sie einen schwarzen Fleck. Sie war lange nicht gemolken worden. Das schwere Euter bereitete ihr Schmerzen, und ihr klagendes Muh hatte etwas Ergreifendes. Am Horizont glühte es rot vom Feuerschein brennender Dörfer. Das dumpfe Grummeln der unweit liegenden Front schwang in der Luft.
Ich lag in einem Erlengebüsch, starrte auf die Kuh und dachte an Rindsgulasch, an Rinderfilet und an Rindsrouladen. Seit meiner Flucht vor drei Tagen hatte ich nichts mehr gegessen. Ich war so erschöpft, daß mir selbst bei dem Gedanken an Rinderzunge in Rotwein, mein Leibgericht, das Wasser nicht mehr im Munde zusammenlief. Gegen Abend verließ ich das Gebüsch und kroch auf die Kuh zu.
»Ich will dir nichts tun«, sagte ich, als ich nahe genug heran war, »ich will nur ein bißchen Milch. Bitte, bleib stehen.«
Die Kuh drehte sich um und schaute mich an. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich, was für schöne Augen sie haben, die Kühe. Sanfte, melancholische, wissende Augen, beschattet von langen Wimpern.
»Bleib stehen, bitte«, wiederholte ich. Sie blieb stehen und ließ es zu, daß ich mich langsam unter sie schob, mich aufrichtete und eine ihrer Zitzen in den Mund nahm.
Ich saugte daran wie ein Säugling an der Mutterbrust, und wenn Säuglinge ein ähnliches göttliches Behagen dabei verspüren, dann möchte ich bald wieder einer sein. Ich trank und trank und trank und schlief ein, und als ich erwachte, war ich soweit gekräftigt, daß ich eine Blechbüchse nehmen und die Kuh melken konnte.
Ich blieb vier Tage mit ihr zusammen, trank Milch und unterhielt mich mit ihr. Ich bat sie um Verzeihung, daß ich bei ihrem Anblick an Rindsgulasch, Rinderfilet und Rindsrouladen gedacht hatte. Sie machte Muh und leckte mir die Hand, die Kuh meiner Träume. Sie hatte mir das Leben gerettet ...
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Jahre später :
"Hocken Sie etwa wieder vor Ihren Memoiren?"
Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und hacke auf einer alten Reiseschreibmaschine herum. Maria, meine Frau, kommt herein, schaut mir eine Weile zu und meint: »Prima machst du dich, Artur. Wie 'n richtiger Schriftsteller.«
Ich hole tief Luft, um ihr die gebührende Antwort zu geben. Leider klingelt das Telefon. »Ja, bitte«, seufze ich. »Sind Sie es, Chef?« »Wer sonst.« Es ist meine Sekretärin, die Inge. Seit 25 Jahren bei mir im Dienst.
Ein Wunder, daß man es so lange bei mir aushalten kann, muß ich in diesem Moment denken. Weil ich mich in diesem Moment überhaupt nicht leiden kann.
»Ihre Stimme klingt so komisch.« Sie lacht respektlos. »Ach, hocken Sie etwa wieder vor Ihren Memoiren? Na, dann will ich nicht stören. Es war nicht so dringend.«
Alle scheinen sie gegen mich zu sein. Manche Leute amüsieren sich geradezu über mich. »Ich habe gehört, Sie schreiben jetzt«, hat gestern ein bekannter Drehbuchautor zu mir gesagt, den ich auf dem Kurfürstendamm traf. »Na, da kann ich nur hoffen, daß Sie ein perfektes Manuskript abliefern. Und vor allen Dingen: halten Sie den Liefertermin ein!« Sprach's, grinste und ließ mich stehen.
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Irgendwie kam mir der freundliche "Rat" bekannt vor ....
Genauso hatte ich früher zu ihm gesprochen, als er noch für mich Drehbücher verfaßte. Verflucht seien diese Schreiberseelen! Das heißt, nun bin ich ja selber eine. Weil man mich breitgeschlagen hat. Es ist gar nicht so einfach, mich breitzuschlagen. In meiner Branche weiß man das. Aber mein Herr Verleger hat es geschafft. Dabei bin ich auf die Honorare gar nicht angewiesen - obwohl ich sie natürlich gern nehme.
Außerdem habe ich immer wieder behauptet: »Memoiren schreibe ich erst mit 90.« So lange aber wollte der Verleger nicht warten. Nun hocke ich da und sage mir immer wieder: »Wen kann das schon interessieren, was ich hier schreibe ?«
Schließlich bin ich kein Filmstar, sondern nur ein Filmproduzent. Und das ist ein ganz gewaltiger Unterschied. Dem Filmbesucher jedenfalls ist der Mann, der die Filme macht, sie produziert, völlig wurscht.
Wenn man ihn fragt, was er sich unter einem solchen Menschen vorstellt, dann wird er vielleicht so ähnlich antworten wie ein Berliner Taxichauffeur, der zu mir meinte: »Filmproduzent? Na ja, also ick möchte mal saren, dicke Ssijarre, ewig Parties, Schwimmingpohl, va-steht sich, wo er die kleenen Meechen rinschubst. Na ja, und Jeld wie Sand am Meer, is mal klar, und wenn eener von die Schtarlets 'ne Rolle will, denn jeht det nur durch seine Betten.« Da könnte man ganz traurig werden, wenn man so etwas hört. Könnte, aber ich werd's nicht. Weil ich Humor habe und mir Trauer nicht steht.
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Über 200 Filme von CCC Brauner
Außerdem habe ich über 200 Filme gemacht, und darunter ist eine ganze Reihe, auf die ich ziemlich stolz bin. Wetten, auch Sie erinnern sich an einige?
An »Mädchen in Uniform« zum Beispiel, an »Menschen im Hotel«, »Es muß nicht immer Kaviar sein«, »Old Shatterhand«, »Nibelungen«, »Kampf um Rom«, »Anastasia«, »Das Riesenrad«, »Der brave Soldat Schwejk«, an »Teufel in Seide« - um nur einige aus meiner Produktion zu nennen.
»Teufel in Seide«. Sehen Sie, gleich fällt mir eine Geschichte ein. Wenn auch eine für mich sehr schmerzliche. Ich erzähl' sie trotzdem :
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Schach dem Jürgens und kein Zobel für O. W. Fischer
In diesem Film spielte neben meiner lieben alten Freundin Lilli Palmer mein ebenso lieber alter Freund Curd Jürgens die Hauptrolle. Der Curd war Ende der fünfziger Jahre riesig im Geschäft. Ganz Europa kannte ihn als »Des Teufels General«. Die Amerikaner vergötterten ihn in »Jacobowsky und der Oberst«.
In Venedig hatte man ihm für die beste schauspielerische Leistung den Graf-Volpi-Preis überreicht. Seine Filme liefen in Tausenden von Kinos an der Ecke. Und alle mit Riesenerfolg!
Der Name Curd Jürgens im Vorspann war bares Geld
Curd also war ein dicker Fisch, und die Produzenten warfen ihre Köder aus, um sich diesen Fisch an Land zu ziehen. Ein Streifen mit dem Namen Curd Jürgens im Vorspann war idiotensicher und so gut wie
bares Geld. Den deutschen Produzenten war von vornherein wenig Petriheil beschieden, um in der Anglersprache zu bleiben: ihre Köder, sprich Gagen, waren nicht fett genug.
Curdchen rechnete nämlich nur noch sechsstellig und verstand immer nur das Wort »Dollar«. Und das konnten die Leute aus Hollywood viel besser aussprechen als wir armen Europäer.
Ich gab das Rennen trotzdem nicht auf. Schließlich ist es eine der wichtigsten Eigenschaften eines Filmproduzenten, stets nach den Sternen zu greifen. Nicht umsonst hängt in manchen Producerbüros das bekannte Schildchen mit der Aufschrift: »Unmögliches wird sofort erledigt. Wunder dauern etwas länger.«
Ich bombardierte Jürgens mit Filmideen, Drehbuchentwürfen, fertigen Drehbüchern, mit spannenden Stoffen, mit den attraktivsten Rollenangeboten. Ich rief ihn an, besuchte ihn in seinem Märchenschloß am Cap Ferrat bei Cannes, ich schrieb ihm lange Briefe.
Seine Reaktion war immer dieselbe. »Warum soll ich für 100.000 arbeiten, wenn ich für 500.000 arbeiten kann? Kannst du mir diese Frage beantworten, lieber Artur?«
Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern sagte: »Na siehst du, du kannst es nicht.« »Will er immer noch nicht?« fragte mich Maria, die beste Ehefrau der Welt, wenn ich wieder mal einen Versuch unternommen hatte. »Er will nicht«, sagte ich, langsam mutlos werdend.
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Meine Frau Maria, die beste Ehefrau der Welt, hat einen Tip
»Na, vielleicht will er, wenn du ihm den Peer Gynt vorschlägst?« Peer Gynt, der Gottsucher, der Abenteurer, der nordische Faust, diese Rolle ist ein Fressen für jeden großen Schauspieler. Hans Albers hatte ihn in seiner unnachahmlichen Art gespielt.
Aber das war fast 25 Jahre her, und nichts sprach dagegen, daß Curd Jürgens ihn noch einmal verkörperte. Auf seine ebenfalls unnachahmliche Weise. Wenn er nur wollte . . .
Ich überlegte, wie ich ihm meine Idee diesmal am überzeugendsten beibringen könnte. Da kam mir, ohne es zu wollen, Sonja Ziemann zu Hilfe. »Du, Artur«, sagte sie am Telefon, »du kommst am Achten doch hoffentlich auch zu mir?«
»Selbstverständlich komme ich, das weißt du doch«, antwortete ich. »Was ist übrigens am Achten?« »Dein Gedächtnis war früher besser«, sagte die Sonny spitz.
Himmel, stimmt ja, ihr Geburtstag! Am 8. Februar 19.. (na, das Jahr spielt ja keine Rolle, Frauen werden von einem gewissen Jahrgang an ohnehin immer jünger) hatte das »Schwarzwaldmädel« das Licht der Welt erblickt. Den Tag wollte sie diesmal ganz groß feiern.
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Ein Geburtstag bei Sonja Ziemann in Berlin Zehlendorf
Es war dann wirklich groß, und es ging hoch her in der Zehlendorfer Villa, wo die Sonny mit ihren Eltern wohnte. Sie war damals, ähnlich wie Curd, auf einem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt.
Wen sie einlud, der war »in«, wie es heute so schön in der Sprache der sogenannten »High-Society« heißt. Und wen sie nicht einlud, der fragte sich verzweifelt nach dem Warum. War er etwa »out«?
Ich weiß nicht mehr so genau, wer alles da war, aber die Namen der Gäste hätten ausgereicht, um die Klatschspalten mehrerer Boulevardblätter zu füllen. An einen aber kann ich mich sehr genau erinnern, und das war Curd Jürgens!
Der Curd war in Hochform. Er sang mit mir »Happy birthday« im Duett, trank Sekt mit Whisky, schwärmte davon, wie prima doch unsere Zusammenarbeit bei den »Ratten« gewesen war. Er war so charmant wie immer und sah noch blendender aus als sonst. Darin wurde er höchstens noch übertroffen von Simone Bicheron, einem französischen Mannequin, das gerade Madame Jürgens geworden war.
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Heute wollen wir nicht übers Geschäft reden ... aber das Schachspiel ...
Jürgens war so guter Stimmung, wie es nur ein frisch Verliebter sein kann. Geschäftliche Dinge aber waren für ihn tabu. Wenn ich ihn auf »mein Thema« bringen wollte, sagte er: »Du, Artur, ich verstehe kein Wort, das muß an der Akustik hier liegen.«
Irgendwann in der Nacht wollte ich mein Glas abstellen. Ich suchte auf einem Bord an der großen Schrankwand ein Eckchen. Dabei entdeckte ich ein Schachspiel.
Schach! Wie ein Blitz fuhr es mir durch den Kopf: »Schach dem König, Schach dem Jürgens!« Das war es!!! Ich ging zu ihm und sagte beiläufig: »Man sagt, du bist mal Großmeister im Schach gewesen, Curd, stimmt das?« »Großmeister nicht, aber für dich reicht's allemal.«
Ich fühlte mich verpflichtet, ihn zu warnen. »Sei vorsichtig. Ich war mal so 'ne Art Schachwunderkind.« Was sogar stimmte. Ich war gerade fünf Jahre alt geworden, als ich mein erstes Turnier bestritt. Das
war in Lodz, meiner Heimatstadt in Polen. Später habe ich simultan gespielt. Gegen zwanzig Gegner gleichzeitig.
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Der Artur - ein frühreifes Wunderkind
Jürgens sagte nur: »Na, dann komm mal her, du frühreifes Wunderkind.« Er nahm das Schachbrett, fand nirgendwo einen Platz und legte es kurzerhand auf den Teppich. Wir hockten uns davor, bauten die Figuren auf. Im Nu hatten sich ein Dutzend Gäste um uns versammelt.
»Worum spielen wir eigentlich?« fragte ich scheinheilig. »Worum, worum. Um die Ehre natürlich«, meinte Jürgens mit seiner Stimme, die immer so klingt, als gurgele er jeden Morgen mit Reißnägeln. Dann verbesserte er sich: »Das heißt, Ehre ist ein bißchen wenig. Sagen wir, um 'ne Kiste uralten Scotch, okay?«
»Ich hätte'da einen besseren Vorschlag.« In die plötzlich auftretende Stille sagte ich langsam: »Wenn du gewinnst, kriegst du deinen Whisky. Gewinne ich, spielst du den Peer Gynt für mich. Okay?«
Er sah mich aus ganz schmalen Augen an, grinste und meinte: »Nachtijall, ick hör dir trapsen.« Und nach einer kleinen Pause: »Also gut, okay.«
Entschlossen schob er den Königsbauern von E2 nach E4. Die Partie dauerte fast zwei Stunden und war so interessant, daß man sie in ein Lehrbuch hätte aufnehmen müssen. Jürgens entfachte ein Angriffsfeuer, daß mir Hören und Sehen verging. Ich merkte bald, daß er eine Variante bevorzugte, mit der Weltmeister Aljechin manchen Sieg errungen hatte. Ich verteidigte mich auf sizilianisch.
Als er beim 22. Zug den Springer bewegte, atmete ich tief durch. Es war genau der Zug, den ich erwartet hatte. Ich schob scharf die Dame nach vorn und sagte ganz ruhig: »Schach.«
Jeder Fachmann konnte erkennen, daß Curds Situation aussichtslos war.
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Mein Glück - Curd Jürgens war schachmatt
Er warf einen langen, langen Blick auf das Brett. Die Kiebitze um uns herum waren totenstill. Durch die Glastür, die uns von den anderen Gästen trennte, hörten wir Caterina Valente singen.
Ich sehe noch heute Hans Söhnker vor mir, wie er seine Zigarrenasche geistesabwesend am Sektglas seines Nachbarn abstreifte. O. E. Hasse pfiff durch die Zähne. Und Martin Held murmelte etwas vor sich hin, was wie »Klappe zu, Affe tot« klang.
Plötzlich stieß Curds Hand nach vorn und schob die Figuren mit einem Ruck zusammen. Er gab auf. »Kompliment, Artur«, sagte er und schüttelte mir als fairer Verlierer die Hand. Ich zog mein Scheckbuch heraus und schrieb in die Spalte »Deutsche Mark in Buchstaben« das Wort »Dreißigtausend«.
»Anzahlung für Peer Gynt«, sagte ich. »Den Vertrag kriegst du morgen mit Eilpost. Okay?«
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Die teuerste Schachpartie meines Lebens .....
»Okay, Atze«, sagte Curd, halb ärgerlich, halb anerkennend. »Atze« nennt der Berliner alle Leute, die Artur heißen, so wie er aus einem Georg einen »Orje« macht und aus einem Hans einen »Hanne«.
Mein Spitzname »Atze« war damals bereits zu einer Art Markenzeichen geworden, und ich freute mich darüber. In jener Nacht sang ich einige besonders traurige Lieder. Was ich immer tue, wenn ich besonders fröhlich bin. Dazu gehörte »Kak bakal pienistyj aromat rasnosyt ... Wie das schäumende Glas die Blume verströmt«. Ein russisches Trinklied, bei dem die Gläser an der Wand zerschmettert werden müssen. Sonja Ziemanns Vitrine wies dann auch bald einige Lücken auf.
Die Partie mit Curd Jürgens sollte sich als die teuerste Schachpartie meines Lebens erweisen. Wir haben den Film »Peer Gynt« bis heute nicht verwirklichen können. Aus tausendundeins Gründen. Wie das in unserer Branche manchmal so geht. Mal paßten die Termine nicht. Mal haperte es mit den Finanzen. Mal war der »Trend« gegen uns. Mal war dieses, mal war jenes. Es ging uns wie den Königskindern im Märchen, sie konnten zueinander nicht kommen ... Eines Tages aber werde ich den Film mit Curd Jürgens machen.
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Curd mit seinen Skandalen und dem Klatsch
Wenn nicht »Peer Gynt«, dann eben einen anderen Film. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Genauso überzeugt bin ich, daß der Curd sein Versprechen einhalten wird. Stimmt, er hat dem Klatsch oft mehr Nahrung geliefert als vielleicht gut war. Mit Skandalen, Skandälchen, Ohrfeigengeschichten, Scheidungsaffären, Goldenen-Löffel-Stories. Für mich bleibt er trotzdem das, was er immer war: ein herrliches Mannsbild und ein grundanständiger Kerl.
30.000 DM (in Worten: dreißigtausend) auf die Hand und nichts dafür, so was kann einem weh tun. Ist schließlich kein Pappenstiel, eine solche Summe.
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Mein Ruf in der Branche und in den Medien = Geizhals
Wenn ich das hier erwähne, höre ich im Geist sofort den Chor meiner, sagen wir einmal: weniger guten Freunde.
»Der arme Herr Brauner«, tönen sie schadenfroh, »gut, daß es ihn auch mal erwischt hat. Ist er bestimmt wieder einmal verhungert.«
Diese »Freunde« halten mich für einen ausgemachten Geizhals. Manche von ihnen behaupten, daß man mich, wenn ich in Schottland leben würde, längst ausgewiesen hätte - wegen allzu großen Geizes. Andere verbreiten mit nie nachlassendem Vergnügen Anekdoten vom Typ »Versichern Sie Ihre Schauspieler eigentlich, Herr Brauner?« - »Nein, ich bete für sie.«
Wie kommt man zu einem solchen Ruf ? Man kommt dazu durch eine Kuh. Sie hieß »Berta«, und mein Aufnahmeleiter hatte sie sich für den Film »Das Bad auf der Tenne« von einem Bauern gepumpt.
Gegen eine vertraglich vereinbarte Gage, versteht sich. Die Kuh spielte ja eine Rolle. Und warum soll einem Rindvieh nicht recht sein, was einem Star billig ist?
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Unser Komparsin Berta und ihre Milch - und nun ?
Als Berta ihren ersten und einzigen Drehtag beendet hatte, schaute sie mich mit ihren wunderschönen Augen an und machte »Muh«. Mit einem Schlag stand Berta Numero 1 vor mir, jene Kuh, die mir damals das Leben gerettet hatte.
Ich schwelgte in düsteren Erinnerungen. Nach dem Motto: Gehabte Scherzen, die hab' ich gern. Der Bauer, der sie abholen gekommen war, meinte lachend: »Die freut sich über ihre Gage, die Berta.« Er schwenkte zufrieden den 50-Mark-Schein, den er kassiert hatte.
»Und wir würden uns über Bertas Milch freuen«, sagte ich nach einem prüfenden Blick auf das pralle Euter. »Oder was meinst du, Paul ?« Ich wandte mich an Paul Klinger, diesen wundervollen Schauspieler, der viel zu früh von uns gegangen ist. »Ja, da sind gut und gerne zwanzig Literchen drin.«
Klinger ging sofort auf meinen Ton ein und spielte den Landwirtschaftsexperten. »Mehr«, meinte der Bauer ebenso stolz wie ahnungslos. Ich sagte: »Sie war den ganzen Tag bei uns, Ihre Berta, dafür haben wir bezahlt, und Futter hat sie auch von uns bekommen. Also gehört die Milch uns.« Wenn wir sie melken würden, dachte ich, könnte ich sie noch ein bißchen bei mir behalten.
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»Kann jemand von Ihnen melken?« - Karl Schönböck konnte
Ich wandte mich an meinen Aufnahmestab. »Kann jemand von Ihnen melken?« Jemand konnte. Er hieß Karl Schönböck. Ausgerechnet. Selbstver-
ständlich hätte ihm kein Mensch so was zugetraut.
Er, der typische Lebemann und Bonvivant, ist von Kuhställen so weit entfernt wie ein Pfarrer vom Beelzebub. Er hatte sie aber irgendwann einmal als Landhelfer gelernt, die edle Kunst des Melkens, und nach Bertas zufriedener Miene zu urteilen, beherrschte er sie noch ganz gut. Jedenfalls haute sie ihm ihren Schwanz nur dreimal um die Ohren.
Im Nu war ein Eimer voll. Mit köstlich sahniger Kuhmilch Marke CCC-Brauner. Wir füllten Becher, Tassen, Gläser, was gerade zur Hand war, und stießen auf das gute Gelingen unseres Films an.
Als der Bauer seine Kuh vom Drehort wegführte, trat er noch einmal kurz an mich heran. »Respekt, Herr Brauner«, sagte er und lüftete seinen Hut. Anscheinend hatte er Verständnis für einen Mann, der seinen Vorteil in jeder Situation wahrnimmt. Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, sie ihm abzukaufen.
Aber was sollte ich mit einer Kuh in Berlin, selbst, wenn es die meiner Träume war? Die Geschichte mit der Kuh Berta sprach sich natürlich in der Branche herum. Wie ein Lauffeuer. Und der »Geizhals Artur Brauner« war geboren. Wie bin ich wirklich?
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Wie bin ich wirklich?
Nun: Wenn ich in eines meiner Ateliers komme und sehe, wie jemand total neue Nägel in den Mülleimer fegt, dann greife ich ein. Ich habe auch etwas dagegen, guten Bindfaden, mit dem Pakete verschnürt sind, ratsch-ratsch-ratsch zu zerschneiden. Für mich ist das eine sinnlose Verschwendung, eine Vergeudung wertvollen Materials.
Und vor allem: Um Nägel herzustellen oder Bindfaden, hat es einer menschlichen Arbeitsleistung bedurft. Und davor hatte ich schon immer Respekt. Ich verlasse zum Beispiel auch mein Hotelzimmer nicht, ohne vorher überall das Licht zu löschen. Es ist nicht »mein Licht«, stimmt, aber trotzdem bin ich gegen dieses gleichgültige »Die zahlen's ja!«.
Ich bin deshalb so allergisch gegen diesen Spruch, weil es gerade in der Filmbranche eine Menge Leute gibt, die ihn oft benutzen. »Der zahlt's ja«, heißt es bei ihnen, und wen meinen sie damit? Dreimal dürfen Sie raten: den Produzenten natürlich.
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»Otto Wilhelm Fischer« - einer der zugkräftigsten Schauspieler
Schon macht es in meinem Gehirn wieder »Klick«, eine Klappe fällt, und auf der Klappe steht »Otto Wilhelm Fischer«. O. W. war einer der zugkräftigsten Schauspieler, den der deutsche Film je hatte. »Und einer der schwierigsten«, werden jetzt einige meiner Regisseure sagen, wobei sich ihre Gesichter im Erinnerungsschmerz leidvoll verziehen.
Ich kann ihnen schlecht widersprechen. Bin ich doch oft bei Dreharbeiten zu Hilfe gerufen worden, wenn die Meinungen der Kontrahenten sich unentwirrbar verwickelt hatten. »Reden Sie mal mit ihm, Herr Brauner«, hieß es dann, »wir sind mit unserm Latein am Ende.«
Ich bin dann in seine Garderobe marschiert und habe mit ihm geredet. Mit dem Ergebnis, daß die Dreharbeiten bald weitergingen. Ich hatte längst erkannt, daß der gute Otto nicht aus purer Bosheit den wilden Mann spielte. Es lag einfach daran, daß er ehrlich glaubte, es besser zu wissen: besser als der Regisseur, wie diese oder jene Szene zu spielen war; besser als der Kameramann, wie zu fotografieren war; besser als der Autor, wie die von ihm verkörperte Person wirklich beschaffen war.
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Die Regisseure - keine Lust mehr auf O. W.-Filme
Manchmal hatte er bestimmt recht. Sehr oft auch nicht! Aber wer wollte das von Fall zu Fall entscheiden? Jedenfalls ist es auf diese Weise schwer, eine gute Arbeit zu liefern. Die renommierten Regisseure verloren deshalb rasch die Lust an O. W.-Filmen.
Sie sagten sich wie Josef von Baky, der das »Tagebuch einer Verliebten« mit Schell/Fischer gemacht hatte: »Warum soll ich mir von ihm noch einmal auf den Nerven herumtrampeln lassen. Es gibt noch andere Schauspieler, genauso gute, solche ohne Cäsarenwahn.«
In Deutschland konnte sich der Otto seine Eskapaden erlauben. Denn die Leute gingen seinetwegen in einen Film. Die Theaterbesitzer buchten ihn blind, denn mit ihm war der Erfolg programmiert. Otto wußte das. Er war ja klug. Aber letztlich nicht klug genug, um zu wissen, wo seine Grenzen waren.
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O. W. Fischers Grenze lag in Hollywood
Eine lag in Hollywood. Und an dieser Barriere sollte er sich den Kopf einrennen. Was damals im einzelnen geschah, hat mir Paul Kohner einmal bei einem Festival in Cannes erzählt. Paul ist einer der erfolgreichsten Agenten Amerikas, und die Liste der Klienten, die er im Laufe seiner Tätigkeit betreut hat, liest sich wie ein Hollywood-Gotha: Greta Garbo, Lana Turner, Yvonne de Carlo, Rita Hayworth, Jeanne Moreau, Liv Ulimann, Maurice Chevalier, Charles Bronson, Fritz Kortner, Ingmar Bergman, Heinrich Mann, Vicki Baum, Erich Maria Remarque und so weiter.
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Die O. W. Fischer Story aus Amerika
»Ich schätzte Fischer als einen glänzenden Schauspieler. In den Staaten allerdings war er unbekannnt«, erzählte Kohner. »Ich empfahl ihn für die Rolle des Butlers in >My Man Godfrey<. Da er sehr schlecht Englisch sprach, machten sie ihm zuliebe den Butler zu einem österreichischen Adligen, der einmal bessere Zeiten gesehen hatte.
Ich bereitete einen großen Bahnhof für ihn vor in Hollywood. June Allyson, seine Partnerin, und Henry Koster, sein Regisseur, holten ihn feierlich ab. Weil ich wußte, daß er Katzen mochte, hatte ich ihm eine Siamkatze in sein Hotelzimmer gesetzt, die er aber sofort rausfeuerte.
Bereits am nächsten Tag fing er an, im Drehbuch herumzumalen, strich ganze Seiten, schrieb Dialoge um. Und das ist in Hollywood völlig unmöglich. Im Studio benahm er sich wie eine Primadonna, stritt ständig mit Henry über die Rollenauffassung, sprach einen Text, der nicht im Buch stand.«
Die Bosse von Universal zitierten Kohner zu sich und baten ihn, er möge seinem Klienten klarmachen, was in Hollywood üblich sei: Jeder, auch der größte Star, habe sich dem Regisseur unterzuordnen.
»Ich versuchte es, fand aber bei Herrn Fischer kein Verständnis. Er blieb bei seiner Obstruktion, schlug sogar vor, den Regisseur abzulösen. 48 Stunden später war Fischer abgelöst. Die Leute von Universal hatten ihn kurzerhand vor die Tür gesetzt.«
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Ich wollte Ihnen ja etwas ganz was anderes erzählen
Aber ich wollte Ihnen ja ganz was anderes erzählen. Richtig, die Sache mit »Der zahlt's ja«. O. W. Fischer sieht sehr sehr gut aus. Will sagen, daß er von Eitelkeit nie ganz frei war. Was sich besonders in der Kleidung zeigte.
Wenn er einen Vertrag mit mir machte, stand bestimmt der Passus drin: »Die in dem Film getragene Garderobe geht nach Drehschluß automatisch in den Besitz von O. W. Fischer über.« Und damit war auch der letzte Schuh und die allerletzte Socke gemeint. Da er eine ganze Reihe von Filmen bei mir gemacht hat, kam im Laufe der Zeit so einiges zusammen.
Es läpperte sich. Als ich ihn einmal in Lugano in seiner »Casa dei Pescatori«, dem Fischerschlößchen, besuchte, warf ich bei günstiger Gelegenheit einen interessierten Blick in seine Schränke. Dort sah es aus wie bei Peeck und Cloppenburg kurz vor dem Ausverkauf. Ich habe die Anzüge nicht gezählt, die da in Reih und Glied hingen.
Eingeweihte versicherten, daß ihre Zahl nicht weit unter siebenhundert Stück liegt. Siebenhundert Anzüge und ein mit kostbarem Zobelpelz gefütterter Mantel!
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Der mit kostbarem Zobelpelz gefütterter Mantel von O.W.F.
Den aber habe ich nicht bezahlt. Und das kam so.
Wir drehten »Und das am Montagmorgen«. Die Geschichts eines Bankbeamten, der eines schönen Tages seine Bank anruft und sagt: »Ich will nicht mehr, ich hab's satt. Ihr könnt mich alle mal ...« Er verbarrikadiert seine Wohnung und spielt stillvergnügt mit seiner Eisenbahn.
Eine herrliche Komödie über unsere zum Erfolg verdammten, vom Streß zermürbten »Führungskräfte«. O. W. war natürlich der Bankdirektor. Seine Partner waren Werner Finck, Ulla Ja-cobsson und der unvergessene Robert Graf.
Ich saß an meinem Schreibtisch im Spandauer CCC-Büro und prüfte die Kalkulationen. Der »Herr Bankdirektor« braucht ja wieder eine ganze Menge neuer Anzüge, mußte ich denken, er ist ein modebewußter Mann, na, welch schöner Zufall für O. W.: sieben Anzüge und das an einem Tag.
Plötzlich stutzte ich, mein Blick wurde starr. Ich rief meinen Produktionsleiter und sagte: »Würden Sie mir diesen Posten einmal vorlesen. Langsam und deutlich.« »Ein Wintermantel, gefüttert mit Zobelpelz - DM 3800«, las mein Produktionsleiter.
Ein Wintermantel, gefüttert mit Zobelpelz? Wachte ich? Träumte ich? »Der ganze Film spielt doch mitten im Sommer. Im Hochsommer ! Zum Teil bei brüllender Hitze! Wer trägt bei brüllender Hitze Zobelpelze? Können Sie mir das sagen?«
Mein Produktionsleiter konnte es nicht. Ich ließ mich mit Lugano verbinden. Ich fragte O. W. Fischer, ob er im Hochsommer Zobelmäntel zu tragen pflege.
»Du, Artur, ich habe mir da noch eine Szene hinzuschreiben lassen«, kam Otto Wilhelms Stimme durch den Draht, »so eine Art Vision, weißt du, also da glaubt der gute Mann, daß er Direktor geworden ist, und auch noch mitten im Winter, und da braucht er ja was zum Anziehen, oder willst ihn erfrieren lassen ...«
»Vision«, sagte ich mit letzter Kraft, »Vision heißt Sinnestäuschung. Und wenn du glaubst, daß ich dir den Pelzfummel zahle, dann haben dich deine Sinne getäuscht.«
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