Artur Brauner's Biografie aus 1976
Artur Brauner's Traum war schon in jungen Jahren, Filmschauspieler zu werden oder einmal selbst Filme zu "machen" - und dieser Traum war so ähnlich wie bei dem Kollegen Will Tremper. Beide waren unter anderem ihre Ideengeber und ihre Produzenten. Beide hatten einen sehr unterschiedlichen Erfolg. Brauner war der taktische Kopf seiner CCC und hatte auch ein Händchen fürs Geld. Will Tremper hatte die fantastischen genialen Ideen und war darum fast immer kurz vor der Pleite. Beide hatten ihre Ideale und Prinzipien, die sie in ihren Filmen vermitteln und darstellen wollten und konnten und beide entdeckten hier bei uns in Deutschland West viele junge Talente. - Die einführende Seite steht hier.
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1946 - Eine Filmlizenz muß her, sonst geht gar nichts.
Um einen Film drehen zu können, brauchte man damals nicht nur eine Filmfirma und das nötige Filmkapital, man brauchte auch eine Filmlizenz. Die Lizenz mußte man sich von einer der vier Besatzungsmächte besorgen.
Um sie zu bekommen, bedurfte es einer »Filmvergangenheit«? Hatte ich eine solche? Nach Meinung der zuständigen Besatzungsoffiziere hatte ich keine. Und meine beiden Kulturfilme? »Können Sie uns die vorführen?« Ich konnte es nicht. Weiß der Teufel, wo sie abgeblieben waren.
Ich ließ von Gustav Kampendonk das Drehbuch zu »Morituri« schreiben und machte mich noch einmal auf zu den Herren Besatzern. Mit diesem Buch würde ich ihnen beweisen, daß ich vielleicht keine Filmvergangenheit hatte, aber bestimmt eine Filmzukunft.
Es war ein Drehbuch nach den Herzen der Großen Vier: ein Denkmal für die Opfer des Krieges, ein Dokument der Menschlichkeit, ein Fanal im Sinne der Charta der Vereinten Nationen. Solche Filme brauchte die Welt hier und jetzt. Dachte ich.
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Meine künftige Schwiegermutter und ihre Tochter Maria
»Sie werden begeistert sein«, sagte ich zu meiner künftigen Schwiegermutter. Ihre Tochter Maria stand dabei und strahlte mich an. Offensichtlich liebte Maria mich sehr.
Aber Liebe kann blind und taub machen für die Wirklichkeit. Und für die Warnungen der Verwandten, die da meinten: »Ein Mann, der in dieser Trümmerwüste Filme machen will, anstatt wie wir nach Amerika auszuwandern, ein solcher Mann ist ein Idiot. Und einen Idioten heiratet man nicht.«
Vielleicht dachte meine Schwiegermutter ähnlich, aber sie sagte es nicht. Sie öffnete einen Koffer und gab mir einen Nerzmantel, den sie gerade von Freunden aus den USA geschickt bekommen hatte. »Du wirst etwa 200.000 Reichsmark dafür kriegen. Ich habe mich erkundigt.«
Schwiegermutter kannte die Preise. Der Film war mit 800.000 Mark kalkuliert.
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Mir fehlten also noch drei Nerzmäntel.
Die Zweihunderttausend, die ich in einer alten Aktentasche bei mir trug, waren dann auch das einzige, was einen gewissen Eindruck auf die Film-Offiziere machte. Weniger beeindruckt waren sie vom Drehbuch. Die ganze Richtung schien ihnen nicht zu passen.
Mein Denkmal für die wehrlosen Opfer des Krieges interessierte sie nicht. Den Grund habe ich nie erfahren. Ich war zutiefst enttäuscht, verbittert, fühlte mich verraten.
Die Amerikaner waren noch am ehrlichsten. Sie sagten schlicht »no«. Die Engländer als die geborenen Kompromißler sagten weder »ja« noch »nein«, sie sagten »j-ein«. Die Russen waren einerseits dafür und andererseits dagegen. Dagegen deshalb, weil sie in ihrer Zone eine eigene Filmgesellschaft gegründet hatten. Die Defa. Und der wollten sie keine Konkurrenz machen.
Die Franzosen taten etwas Überraschendes. Sie gaben mir eine Lizenz. »Aber nicht für >Morituri<, Monsieur. So ein Thema bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Höheren Orts, Monsieur. In Paris, Monsieur.«
Das konnte Monate dauern. So wie ich die Militärbehörden kannte. Mein Geld würde dahinschmelzen wie die Butter unter der Sonne. Ich war zum erstenmal in meinem Leben mutlos.
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»Ich will keinen Schrott«
In solchen Momenten kommen die guten Freunde und geben einem billige Ratschläge. »Mach irgendwas in Schrott«, rieten sie mir. »Oder steig in Büchsenmarmelade ein. Da ist jetzt groß was zu holen.«
»Ich will keinen Schrott«, sagte ich bockig wie ein Kind, dem man Spinat vorsetzt, »und Marmelade will ich auch nicht. Ich will >Morituri<!«
Meine Freunde verließen mich in der festen Überzeugung, daß es nun endgültig mit mir zu Ende ging. Sie irrten sich. Wie so oft. Ich machte nämlich meinen Film. Wenn auch einen ganz anderen.
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Der grausige Hungerwinter 1946/47 in Berlin
»Heimweh nach der Vergangenheit«, dieses Gefühl ist heutzutage große Mode. Nostalgie heißt es mit dem Fremdwort und wird dadurch noch schicker. Es gibt Leute, die sich vor lauter Heimweh in Omas Schaukelstuhl setzen, um sich aus dem Trichtergrammophon eine Caruso-Schallplatte anzuhören, die so klingt, als heule Nachbars Dackel den Mond an, während die treusorgende Gattin beim Licht der Petroleumlampe ein Büchlein von der Courths-Mahler liest.
Was mich betrifft, so lebe ich lieber in der Gegenwart. Außerdem gibt es Zeiten in unserer Vergangenheit, nach denen ich nicht das geringste Heimweh habe. Ich müßte ja meschugge sein, wenn ich mich zum Beispiel nach dem grausigen Hungerwinter 1946/47 in Berlin sehnen würde.
Damals, als die Berliner ihren Grunewald abholzten, nach einer Sonderzuteilung von fünfzig Gramm Heringsrogen Schlange standen und Herr Krause abends vor dem Schlafengehen zu seiner Gattin sagte: »Zieh dich an, Frieda, wir gehen zu Bett.«
Es war wirklich grausam kalt
Auch im Kino mußte man sich ganz warm anziehen. Oder eng zusammenrücken. So kalt war es. Aber Hauptsache war, daß man überhaupt wieder ins Kino gehen konnte. Ja, man hatte sogar die Genugtuung, den ersten westdeutschen Nachkriegsfilm zu besichtigen.
Er hieß »Sag die Wahrheit«. Sein Titel erschien manchen Leuten ziemlich zweideutig. Weil sie so viele Fragebögen ausfüllen mußten, an deren Ende man schwören mußte: »Hiermit erkläre ich an Eides Statt, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«
Nun, damit hatte dieser Film weiß Gott nichts zu tun. Er war so unpolitisch wie die Märchen der Gebrüder Grimm. Das war wohl auch der Grund, warum er sofort eine Lizenz bekommen hatte.
Produziert hatte ihn eine Gesellschaft namens »Studio 45 Film GmbH«. Und mitproduziert hatte ihn Artur Brauner. Das heißt, ich hatte ein bißchen Geld dazugegeben. Sie erinnern sich an Schwiegermutters Nerzmantel ?
Ein wenig mehr als das, was ich dafür bekommen hatte, investierte ich in das Projekt. Was etwas sehr Segensreiches zur Folge hatte: Einigen Darstellern konnte ihre restliche Gage ausgezahlt werden.
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Gustav Fröhlich war der Hauptdarsteller.
»Justav«, wie ihn die Berliner zärtlich nannten, denn er war sehr beliebt bei ihnen und ist es heute noch. Justav lernte ich draußen in Tempelhof kennen. In den Ateliers, die wunderbarerweise alles überstanden hatten, was auf Berlin abgeworfen und abgefeuert worden war.
»Worüber lachen Sie eigentlich dauernd?« war das erste Wort, das er an mich richtete. »Über Sie«, sagte ich wahrheitsgemäß. Ich hatte in den Kulissen gestanden und ihn bei der Arbeit vor der Kamera beobachtet. »Über mich persönlich oder über mich als Schauspieler?« fragte er mißtrauisch.
»Über Peter Hellmer«, sagte ich. So hieß der Gustav in diesem Film.
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»Sag die Wahrheit« - eigentlich eine Katastrophe
Hellmer ist ein junger Architekt, der mit seiner Braut eine Wette abgeschlossen hat: Er will für 24 Stunden in jeder Situation und jedem Menschen die Wahrheit sagen.
Das Ergebnis ist so katastrophal wie logisch: Er beleidigt reihenweise Partygäste, verrät sich beim Finanzamt, gibt Geschäftsgeheimnisse preis, widerruft eine falsche Aussage, die er nach einem Autounfall gemacht hatte, und sagt beim Scheidungsrichter ehrlich aus, anstatt auf Anraten seines Rechtsanwalts zu schwindeln. Schließlich landet er in einem Irrenhaus und wird in eine Zwangsjacke gesteckt. »Wer so wahrheitsliebend ist, muß verrückt sein«, meint der behandelnde Arzt.
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Zum erstenmal seit langer Zeit wieder aus vollem Herzen lachen
Gustav Fröhlich hatte schon vor der Kamera so umwerfend komisch gewirkt, daß ich zum erstenmal seit langer Zeit wieder aus vollem Herzen lachen konnte. Und das wollte etwas heißen. Denn viel zu lachen hatte man ja nicht im Berlin des Jahres 1946.
Alles das sagte ich Fröhlich, und er wurde mit einem Schlag zugänglicher. »Brauner, Brauner«, meinte er nachdenklich, »dann sind Sie wohl derjenige, welcher?« Er machte mit Daumen und Zeigefinger jene Geste, die bereits bei den Neandertalern mit dem Wort »Pinke-Pinke« übersetzt wurde.
»Ja«, sagte ich so bescheiden wie möglich. »Der bin ich.« Dann holte ich tief Luft, faßte meinen ganzen Mut als jüngster, unbeschriebenster, unerfahrenster Filmproduzent der Welt zusammen und sagte zu dem großen Star der einstigen Ufa:
»Herr Fröhlich, ich habe vor, einen sehr ernsten, sehr tragischen Film zu machen. >Morituri< soll er heißen. Das Drehbuch ist allerdings noch nicht genehmigt. Es kann sein, daß ich vorher noch einen anderen Film produzieren muß. Einen heiteren allerdings. Hätten Sie Lust, in so einem Film die Hauptrolle zu übernehmen?«
»Ja«, sagte Fröhlich und lächelte mich so an, wie er hieß, »ja, dazu hätte ich Lust.« Er ahnte nicht, was er sich mit dieser Zusage einhandeln sollte.
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Die Uraufführung von »Sag die Wahrheit« am 20. Dezember 1946
Die Uraufführung von »Sag die Wahrheit« fand vier Tage vor Weihnachten statt. Genauer am 20. Dezember 1946. Schauplatz war die »Filmbühne Wien« am Kurfürstendamm. Es war nicht direkt mein Film, aber irgendwie doch ein Stück von mir, und ich war entsprechend aufgeregt.
Ich hatte gar keinen Grund dazu. Schon nach wenigen Minuten gab es den ersten Lacher im Publikum. Es war ein kleiner, noch etwas schüchterner Lacher, und ich hatte den Eindruck, als trauten sich die Leute noch nicht so recht, als empfänden sie Gelächter in dieser bitterbösen Zeit als geradezu unsittlich.
Dann erschien eine Dame vom Typ Neureich auf der Leinwand und fragte Peter Hellmer alias Gustav Fröhlich: »Ich war übrigens in Bad-Gastein. Finden Sie nicht auch, daß ich viel schlanker geworden bin?« Der Architekt wollte zu einem Kompliment ansetzen, aber da fiel ihm seine Wette ein, und er sagte: »Im Gegenteil, ich finde Sie dicker als je zuvor.«
Hier kam der Lacher Numero zwo. Es folgte der nächste, und das war schon ein richtiger Brüller. Von da an wurde fast nur noch gelacht. Die Leute wischten sich die Tränen aus den Augen, trampelten, bissen sich in die Ärmel, schlugen sich gegenseitig auf die Schenkel.
Eine ungeheuerliche Lachwoge riß wie ein Naturereignis alles mit sich, schwemmte für neunzig Minuten allen Kummer, alle Sorgen hinweg wie faules Treibholz. Das Publikum lachte noch, als die Schauspieler sich am Schluß feierlich verbeugten.
Eine kleine Feier ...
Das heißt, mit der Feierlichkeit war es nicht weit her.
Gustav Fröhlich, Ingeborg von Kusserow, Mady Rahl, Wilhelm Bendow, Aribert Wäscher (der einen wahrlich irrsinnig komischen Irrenarzt gespielt hatte), Georg Thomalla, sie wurden von dem allgemeinen Lachkoller angesteckt und bogen sich. Als es im Saal wieder hell wurde, sah ich sogar einige Filmkritiker lachen.
Allerdings sehr verschämt. Hinter vorgehaltener Hand. Wir feierten unsere erste Premiere mit Erdbeersekt (die Flasche zu 200 Mark), Alcolat (einem widerlich süß schmeckenden Alkoholersatz) und Marmeladestullen (Vierfrucht, aus einem zerbombten Ruinenkeller).
Wir wußten, daß unser Film keine Chance hatte, für den »Oscar« nominiert zu werden. Er war beileibe kein Kunstwerk, weiß der Himmel, nein. Aber er war anständige Arbeit. Am Tage darauf vermißte ich die Morgen-, Mittags- und die Abendzeitungen und überlegte mir gerade, ob die Drucker streikten oder ob wieder mal die lieben Besatzer schuld daran waren.
Vernichtende Kritiken (von den verlogenen Kritikern)
Ich fragte Maria und die Mutter von Maria nach den Zeitungen, und beide drucksten sie herum. Na, was war? Sie hatten die Zeitungen vor mir versteckt. »Her damit«, sagte ich. Sie brachten sie zitternd vor Angst. Ich schlug den Feuilletonteil auf, und schon begann ich mitzuzittern. Vor Wut.
»Protest!« schrieb der spätere Star-Kritiker Friedrich Luft in der »Neuen Zeitung«.
»Hier kommt deutlicher Protest gegen den ersten Film der >Studio 45 Film GmbH<. Man reibt sich die Augen und hält es nicht für möglich ... Daß Heiterkeit notwendig ist - darüber kein Wort. Aber was ist dies hier? Menschen bevölkern die Leinwand, die uns fremder sind als die Steinzeitbewohner. Keiner und keine, die auch nur von fern an Arbeit erinnerten. Vor den glatten Lustspielgesichtern erfaßt uns heute das schlechte Gewissen.«
Die anderen Kritiker sprachen sich ähnlich aus. Auch die, die im Kino gelacht hatten, verrissen uns. Es waren die ersten Kritiken meines Lebens, und ich nahm sie entsprechend ernst. Das Weihnachtsfest war mir gründlich verdorben. Bei »Stille Nacht« mußte ich dauernd an die leeren Abendvorstellungen denken.
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Weihnachten 1946 - meine Maria hatte Recht
»Wer diese Kritiken liest, wird nicht in den Film gehen«, sagte ich düster. »Niemand wird diesen Film sehen wollen. Kein Mensch. Absolut niemand. Wir sind pleite, total pleite.«
»Alle! Alle werden sie ihn sehen wollen.« Wer so sprach, war Maria. »Und weißt du auch, warum: weil die Menschen endlich einmal wieder lachen wollen.«
Sie sollte recht behalten. Dieses wundervolle Mädchen, das ich kurze Zeit später auf "Lebenszeit" engagierte. »Sag die Wahrheit« wurde ein Renner. Er rannte im Triumph durch die Kinos Westdeutschlands.
Allein in der »Filmbühne Wien« (ein Berliner Filmtheater im Haus Wien am Kurfürstendamm 26) ließ er elf Wochen lang die Kinokassen klingeln.
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