Artur Brauner's Biografie aus 1976
Artur Brauner's Traum war schon in jungen Jahren, einmal selbst Filme zu "machen" - und dieser Traum war so ähnlich wie bei dem Kollegen Will Tremper. Beide waren unter anderem ihre Ideengeber und ihre Produzenten. Beide hatten einen sehr unterschiedlichen Erfolg. Brauner war der taktische Kopf seiner CCC und hatte auch ein Händchen fürs Geld. Will Tremper hatte die Ideen und war fast immer kurz vor der Pleite. Beide hatten iihre Ideale, die sie in ihren Filmen vermitteln und darstellen wollten und konnten und beide entdeckten hier bei uns in Deutschland West viele junge Talente. Die einführende Seite steht hier.
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Meine lieben Kleinen - vor dem Fernsehapparat
»Schluß für heute!« sage ich laut und schiebe die Schreibmaschine zurück. Ich stehe auf, mache ein paar Kniebeugen. Die Knochen knacken. Ich höre das so deutlich, weil es still ist in unserem Haus.
Verdächtig still. Und das bei drei Kindern! Es ist Zeit, einmal nach ihnen zu sehen. Ihre Mutter ist heute den ganzen Tag weg. Sie betreut in unserer Gemeinde die Alten und Kranken. Eine Aufgabe, die sie mehrere Tage in der Woche beschäftigt.
Wo finde ich die lieben Kleinen? Geschlossen vor dem Fernsehapparat. Fela lümmelt auf der Couch. Alice frißt beim Zuschauen ein Eis. Sammy spielt mit seinen Holzlatschen.
»Fernsehen, natürlich! Das ist doch bestimmt wieder irgend so ein Film«, meckere ich, »den ihr noch nicht sehen solltet.« »Hast ihn ja selber gemacht«, meint Fela.
Ich gucke genauer hin und muß ihr recht geben. Es ist tatsächlich einer meiner Filme, der hier über den Schirm flimmert. Einer aus der »Dr. Mabuse«-Reihe. Mit Gert Fröbe, Lex Barker, Daliah Lavi, soviel ich sehe. Hausgemachter Horror für meine lieben Kleinen. Kann ich ihnen ja kaum verbieten. Schließlich glauben sie, daß das, was Vater tut, wohlgetan ist.
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Kinder vor dem Fernsehschirm
Kinder vor dem Fernsehschirm, das ist ein Kapitel! Ich glaube, da brauche ich niemandem etwas zu erzählen. Eltern wissen, was es da manchmal für Ärger gibt. Für pädagogische Bedenken. Für gesundheitliche Sorgen. Das ist schon ein Problem.
Kinder vor dem Fernsehschirm eines Filmproduzenten aber sind ein noch viel größeres Problem!
Ich komme mir da manchmal vor wie der Pelikan aus der Sage, der seine eigene Brust aufreißt und damit seine Brut füttert.
Das Fernsehen hat den Film weitgehend kaputt gemacht.
Gewiß, es gibt da noch andere Ursachen, doch die Hauptursache ist dieser geliebte, verdammte Kasten, vor den man sich hinlümmeln kann wie Fela, vor dem man ein Eis lutscht wie Alice, der einen völlig unabhängig machen kann von jedem Kino.
Das ist die Stelle, an der es anfängt, bei mir weh zu tun: wenn meine eigenen Kinder noch nicht mal mehr in eine Jugendvorstellung zu bringen sind.
»Wieviel hat'n dir das Fernsehen dafür bezahlt, Pappi?« fragt Sammy und läßt für einen Moment seine Holzlatschen in Ruhe.
»Eine Menge«, sage ich. Kinder müssen nicht alles wissen. (Im Vertrauen: Ich kriege für einen alten Spielfilm vom Fernsehen zwischen 40 und 100.000 DM je nach Qualität und Starbesetzung.)
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Jetzt schauen wir uns einen richtigen Film an
Wenn Sammy oder Alice ihre Kindergeburtstage feiern und sich die ganze Gesellschaft wieder vor den Schirm hocken will, geht das allerdings über meine Kräfte. Ich nehme in solchen Fällen meinen ganzen Mut zusammen und sage: »Jetzt gehen wir alle in den Keller und schauen uns einen richtigen Film an.«
Bei einer solchen Privatvorführung in unserem perfekt eingerichteten Kintopp, dem eine ganze Filmothek mit Dutzenden von Spielfilmen angegliedert ist, wurde ich einmal von einem Achtjährigen angesprochen, einem jener Berliner Jungs, die bekanntlich »helle« sind.
Ein heller Knabe stellt die Frage ....
»Stimmt det, det Sie Ihre Filme alle selba machen?« fragte er. Ich sagte, daß es stimmt.
»Wie machen Se'n so wat?« erkundigte er sich skeptisch. Ich lud ihn ein, einmal zu den Dreharbeiten in meine Ateliers nach Spandau hinauszukommen und sich das anzuschauen.
»Spandau?« sagte er und schob seinen Kaugummi von links nach rechts. »Det is aber wei-et, j. w. d. würd' ick saren. Aber 'n Autojramm könnten Se mir jeben.«
Ein Autogramm! Mir schwoll die Brust. Ein sympathisches Kerlchen, wirklich sehr aufgeweckt und so klug für sein Alter. Hatte ja vollkommen recht. Warum immer nur Filmstars? Schließlich war der Namenszug eines Produzenten auch was wert. Ich zückte meinen goldenen Kugelschreiber und gab dem Jungen ein Autogramm.
Woraufhin er noch ein zweites haben wollte. Und ein drittes, ein viertes, ein fünftes. Was um Himmels willen er denn mit so vielen Autogrammen von mir wolle?
»Für fünf Brauners«, sagte er verlegen grinsend, »krieg' ick auf de Autojrammbörse eenen Alexander oder zwee Wencke Myhre.«
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Die Vorlieben meiner Kinder
Welche meiner Filme die Kinder am liebsten sehen? Nun Karl May natürlich: »Old Shatterhand«, »Durchs wilde Kurdistan«, »Im Reiche des silbernen Löwen«.
Dann die Edgar-Wallace-Sachen: »Das Ungeheuer von London City«, »Das Phantom von Soho«, »Der Würger von Schloß Blackmoore«. Am allerliebsten aber haben sie einen Film, und der ist nicht von mir.
Leider. Er heißt »12 Uhr mittags«. Ein bereits klassisch gewordener Western von atemberaubender Spannung. Jeder, der ihn gesehen hat, wird mir da zustimmen. Meine Kinder aber sehen ihn deshalb so gern, weil ein Mann darin die Hauptrolle spielt, den sie besonders mögen: Gary Cooper.
Gary Cooper - der war anders
Ich kann mir Sentimentalität nicht oft leisten in meinem Beruf, aber wenn ich an diesen Mann denke, dann werde ich sentimental. Ich habe in meinem Leben als Produzent fast alle großen Filmschauspieler Europas und Amerikas kennengelernt. Von manchen war ich ziemlich enttäuscht.
Da gab es einen Komiker, über den die Leute im Kino vor Lachen brüllten. Er selbst hatte überhaupt keinen Humor. Der Krimiheld, der sich seinen Weg freizuboxen pflegte, erwies sich als das, was der Berliner eine »Pfeife« nennt. Und der Sexstar, der die Leinwand zum Knistern brachte, zeigte sich als spießiges Hausmütterchen.
Selbstverständlich weiß ich auch, daß man von einem Helden im Film nicht verlangen kann, daß er auch ein Held im Privatleben ist. Aber ein klein wenig sollte er doch dem Bild entsprechen, das man sich von ihm gemacht hat.
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Die Berliner Filmfestspiele 1953 - im fast Kriegszustand
Mr. Cooper entsprach diesem Bild hundertprozentig. Ich lernte ihn bei den Berliner Filmfestspielen 1953 kennen. In diesem Jahr waren überraschend viele Absagen im Festspielbüro eingetroffen.
Stars, die ihr Erscheinen fest zugesagt hatten, hatten plötzlich »Terminschwierigkeiten« oder waren auf rätselhafte Weise »erkrankt«. Die Berliner kannten den Namen der Krankheit. Sie hieß »Angst«.
Der Volksaufstand in Ost-Berlin war gerade von den Russen niedergeschlagen worden. Am Potsdamer Platz standen noch die sowjetischen Panzer. Nachts hallte Gewehrfeuer von drüben. Keine angenehme Situation für Festivalbesucher, zugegeben. Und trotzdem hatte niemand in West-Berlin das geringste zu befürchten.
Ich lernte Cooper kennen, als ich mit Maria noch in meiner kleinen Drei-Zimmer- Wohnung am Hohenzollerndamm lebte. Er stand vor unserer Tür. Baumlang. Mit einem kleinen Lächeln in den Mundwinkeln. Er sagte »Hallo«. Und sonst sagte er gar nichts.
Aber es genügte. Er war uns auf Anhieb sympathisch. Er ließ sich in einen Sessel fallen und streckte seine Beine so weit von sich, daß ich zur Sicherheit die Tür zum Nebenzimmer öffnete, damit er genügend Platz hatte.
»Coop«, wie man ihn in Hollywood nannte, lachte. Er trank Bourbon-Whisky und ging ab und zu auf unseren Balkon, um einen Blick auf die Straße zu werfen. »Berlin«, sagte er, »dieses Berlin . . .«
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Gary Cooper plaudert as dem Nähkästchen
»Warum sind Sie eigentlich gekommen? ...... und haben nicht abgesagt. Wie viele Ihrer Kollegen?« fragte ich ihn. Er verzog das Gesicht und schwieg. Schließlich sagte er: »Ich mußte kommen.« Und nach einer Weile: »Vielleicht ist es gerade jetzt wichtig.«
Ja, es war wichtig! Für die Berliner. Für die Berlinale. Für den Film. Und für mich. »Mr. Cooper«, sagte ich, als wir abends im Kempinski beim Essen saßen, »wissen Sie eigentlich, daß Sie mir einmal das Leben gerettet haben?« Er sah mich aus seinen unwahrscheinlich hellen Augen erstaunt an.
Aber er ging nicht darauf ein. Das Essen war ihm erst einmal wichtiger. Er hatte sich Eisbein mit Sauerkraut bestellt. Dazu trank er eine Weiße mit Schuß. Was nicht ganz zusammenpaßte, aber »Coop« wollte die Berliner Küche studieren, und zwar gründlich. »
Man muß in einem fremden Land das essen, was die Leute dort essen, nur so kann man sie kennenlernen«, sagte er. »Ais-bain mit Krrrrraut«, wie er es aussprach, schien ihm zu schmecken. Ich freute mich: Berlins kulinarische Visitenkarte konnte sich offenbar sehen lassen.
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Cooper sagte über das »Geheimnis« seines Erfolgs ....
Wir wurden bald vertraut miteinander. Er redete mich mit »Arthur« an (was im Englischen allerdings schaurig klingt: nämlich wie »aa-ßer«) und verbat sich mein »Mister Cooper«. »Sagen Sie Gary!« Er hatte nie auch nur den leisesten Anflug von »Starallüren«.
Seine Herzlichkeit war nicht gespielt. Sie kam wirklich aus dem Herzen. Er war von ausgesuchter Höflichkeit auch dem kleinsten Hotelboy gegenüber oder der Putzfrau im Atelier.
Er fühlte sich mit dem, was man »das Volk« nennt, völlig eins. Und es war keine Masche von ihm, mit der sich gute Publicity machen ließ. Wir sprachen an diesem Abend auch über das »Geheimnis« seines Erfolgs. Cooper sagte: »Ich habe mich immer als ein hundertprozentiger Durchschnittsmensch gefühlt, als der nette Junge von nebenan. Und so habe ich auch gespielt. Ich konnte nur so spielen. Weil ich ja tatsächlich eine Durchschnittstype bin.
Die Leute, die mich im Kino sahen, die haben mir das deshalb auch abgekauft. Sie haben gedacht: »Der ist ja genauso wie ich, und er schafft es immer, also habe ich auch 'ne Chance, es zu schaffend Da ist es schon, das sogenannte Geheimnis .«
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In Hollywood sagte man »Glücklich wie die Coopers«
Später gesellte sich Mrs. Cooper zu uns. Sie strahlte die gleiche warme Herzlichkeit aus. Die beiden paßten großartig zueinander. Ihre Ehe war so gut, daß man in Hollywood sagte »Glücklich wie die Coopers«. Halb neidisch, halb sehnsuchtsvoll. Je nachdem.
Die Coopers haben sich auch nie dem Terror der Hollywooder »Klatschtanten« gebeugt. Klatschtanten sind Leute, die über alles, das mit der Filmbranche zu tun hat, nun ja, klatschen (Anmerkung: = tratschen). Sie tun das in schriftlicher Form in ihren Zeitungen.
Mehr über die »Klatschtanten«
Immer sind sie dabei gewesen. Auch wenn sie nicht dabei waren. Sie wissen, wann und mit wem Frank Sinatra seine letzte Liebesnacht verbracht hat. Warum Liz Taylor sich wieder einmal von Richard Burton getrennt hat. Und was James Dean sagte, bevor er mit seinem Sportwagen in den Tod raste. Klatschtanten sind keineswegs auf das weibliche Geschlecht beschränkt. Es gibt sie auch in maskuliner Ausgabe.
Besonders bei uns in Deutschland. Wo sie »Hunter«, »Graeter« oder »Adabei« heißen und die Neugierde des Publikums mit Backgroundstories füttern. In den USA hießen die berühmtesten dieser Spezies Louella Parsons, Hedda Hopper und Elsa Maxwell. Inzwischen sind alle drei verstorben. Friede ihrer Asche.
Wenn sie zu einer Party "baten" oder einluden, war es absolute Pflicht zu erscheinen. Besonders die Schauspieler konnten sich dem nicht entziehen. Es sei denn, sie wollten gesellschaftlichen Selbstmord begehen.
Wenn sich zwei Stars auf solchen Parties trafen, spielte sich immer wieder folgender Dialog ab: »Warum bist du hier?« »Aus demselben Grund wie du.« »Ach so, hast dich auch nicht getraut abzusagen.«
Nur die Coopers trauten sich. Gary pflegte solche Einladungen mit schöner Regelmäßigkeit in den Papierkorb zu werfen. Und dazu gehörte verdammt viel Mut. Über all das sprachen wir an diesem Abend. Und über vieles andere.
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Gary Cooper rettet mir mal das Leben
Aber schließlich sagte »Coop«: »Du wolltest mir erzählen, Artur, wie ich dir einmal das Leben gerettet habe. Ich kann mich nicht daran erinnern.«
Ich zögerte. Obwohl ich selbst das Thema aufs Tapet gebracht hatte. Aber mein Bericht würde einen Ausflug in eine grausige Vergangenheit bedeuten.
Man schreibt den Dezember 1939.
Die Deutschen hatten Polen überrannt. Die polnische Armee war vernichtet. Die jüdische Bevölkerung sollte in Ghettos zusammengepfercht werden. Auch vor unserem Haus in Lodz fuhren Lastwagen der SS-Kommandos vor.
Ich war damals gerade einundzwanzig und lebte noch bei meinen Eltern. Schauspieler hatte ich werden wollen. Oder Komponist. Ich war aber beim Film gelandet und verdiente mir die ersten Sporen bei zwei Kulturfilmen. Der eine hatte mich mit einer Expedition in den Iran geführt und hieß »Die Schätze des Ostens«.
Den anderen hatten wir am Toten Meer gedreht. Für Vater war das nichts weiter als brotlose Kunst. Es wäre ihm lieber gewesen, ich hätte sein Geschäft übernommen. Er war Holzgroßhändler. Und so hatte ich auf seinen Wunsch hin das Technikum besuchen müssen.
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Alle Pläne waren Makulatur, als der Krieg ausbrach
Alle diese Pläne aber waren in dem Moment gegenstandslos, als der Krieg ausbrach. Meine Eltern und meine vier jüngeren Geschwister machten sich daran, ihre Sachen zu packen. Man hatte ihnen erlaubt, einen Teil ihrer Habe ins Ghetto mitzunehmen.
Sie gingen mehr oder weniger freiwillig, weil sie nur an eine vorübergehende Maßnahme dachten. Es war eben Krieg. Daß man Menschen planmäßig und methodisch umbringen könnte, nur weil es Menschen anderer Herkunft waren, das vermochten sie nicht zu glauben. Und auch nicht, daß die Ghettos nichts anderes waren als Todesfallen.
Ich aber glaubte es. Obwohl keine Phantasie damals ausreichte, um sich Vernichtungslager wie Auschwitz, Treblinka, Maidanek vorzustellen. Ich sagte zu meinen Eltern: »Wenn ihr ins Ghetto geht, werde ich euch nicht wiedersehen. Denn ich bleibe nicht.
Und außerdem ..., außerdem will ich nicht, daß wir einen gelben Stern tragen.« Noch in derselben Nacht brachte ich sie mit einem Pferdefuhrwerk in eines der vergessenen Dörfer am Rande der großen Wälder.
Dort waren sie vorerst in Sicherheit. Das Leben war primitiv, aber wir hatten einen Herd, wir hatten ein Dach über dem Kopf, und zu essen gab es ebenfalls.
Als die ersten Familien abtransportiert wurden ....
Bald aber tauchten auch in den Dörfern die Häscher auf. Nachts, wenn die Hunde anschlugen und von Ferne Motorengeräusch erklang, zogen wir uns hastig an und waren bereit zu flüchten. Als im benachbarten Dorf die ersten Familien (von den polnishen Mitbürgern) denunziert und abtransportiert wurden, sagte ich: »Wir müssen weg von hier. In die Wälder an der deutsch-russischen Demarkationslinie. Ihr wißt, daß dort Tausende von uns leben. Ich will als erster gehen und ein Versteck suchen. Dann hole ich euch nach.«
Zusammen mit vier anderen Jungens brach ich auf. Wir marschierten nachts und verbargen uns am Tage in leeren Feldscheunen. Nach mörderischen Fußmärschen durch das tief verschneite Land erreichten wir den San. Drüben auf der anderen Seite des Flusses lagen die Russen. Von ihnen konnten wir keine Hilfe erwarten.
Ihnen waren durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt die Hände gebunden. Wir krochen in das dschungelartige Ufergestrüpp und warteten die Dämmerung ab. Nach Sonnenuntergang sollten zwei ortskundige Führer erscheinen, um uns über den Fluß zu lotsen.
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Wir sind verraten worden
Das Knattern eines Motorrads kam näher. Das mußten unsere Leute sein. Einer von uns verließ das Versteck. Wir hörten ihn schreien. Im nächsten Moment waren wir von SS-Soldaten umringt.
Irgend jemand mußte uns verraten haben. Zwei meiner Kameraden versuchten zu flüchten. Sie sprangen in die eisigen Wasser des San und ertranken. Die beiden anderen wurden gefilzt. Man fand bei ihnen deutsches Geld. Wer von uns deutsches Geld besaß, konnte auf der Stelle erschossen werden. Man führte die beiden auf eine Lichtung, und ich hörte das peitschenartige Knallen des Karabiners.
»Hast du auch Geld?« fragte mich der Rottenführer. Er sah genauso aus, wie Peter van Eyck aussah, wenn er SS-Offiziere spielte. Natürlich hatte ich Geld bei mir. Mit Geld konnte man sich Lebensmittel kaufen. Schnaps, Tabak. Das Leben. Es war eingenäht in die Sohle meines rechten Stiefels, und ich war entschlossen, es zu behalten. Denn es war alles, was unsere Familie noch besaß. »Ich habe nichts. Gar nichts«, sagte ich.
»Zieh dich aus.«
Stück für Stück legte ich meine Kleider ab. Ich wußte nicht, ob ich mehr vor Angst oder vor Kälte zitterte.
»Und jetzt die Schuhe.« Er zog sein Seitengewehr, stieß es in die
Sohle des linken Stiefels und schnitt sie von unten nach oben auf. Er nahm den rechten Stiefel, schaute mich an. »Wenn ich was finde, bist du hin. Das weißt du.«
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Gary - in diesem Moment traten Sie in Aktion
Ich unterbrach meine Erzählung und wandte mich an Gary Cooper, der mir die ganze Zeit zugehört hatte, ohne mich mit einem Wort zu unterbrechen. »Ja, Gary, und in diesem Moment traten Sie in Aktion.«
»Wie das?« fragte er und sah mich an, als hätte ich zu tief ins Glas geschaut. Dabei trinke ich kaum Alkohol.
»Sie haben da mal einen Western gemacht. In einer Szene stehen Sie am Ufer eines Flusses. Unbewaffnet. Ihnen gegenüber ein Killer, der seinen Colt gezogen hat. Sie hören das Klicken, mit dem der Hahn gespannt wird. Sie wissen, daß sie in der nächsten Sekunde tot sein werden. Und da . . .«
». . . und da senke ich meinen Schädel und stoße ihn dem Killer in den Bauch.« Cooper übernahm das Wort und stopfte sein Zigarillo erregt in den Aschbecher. »Der Bursche kippt aus den Socken, fällt ins Wasser, ich mit einem Hechtsprung hinterher, ich schwimme unter Wasser, zwanzig Meter, dreißig, tauche auf, sie ballern auf mich wie die Verrückten, ich tauche wieder, komme hoch und diesmal schießen sie nicht mehr. Sie glauben, daß ich längst abgesoffen bin.«
»Und genauso war es bei mir«, sagte ich langsam. »>The Texan< hieß der Streifen, glaube ich. Der Texaner.« Cooper sah mich aus zusammengekniffenen Augen an.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, daß ich den Film in einer Jugendvorstellung in Lodz gesehen habe. Und daß die Szene mit dem Kopfstoß blitzartig vor mir ablief. Ich handelte wie ein Schlafwandler.«
Halb erfroren, zu Tode erschöpft, blutend schleppte ich mich ans andere Ufer. Nach ein paar hundert Metern brach ich bewußtlos zu-
sammen. Zwei meiner Landsleute fanden mich und brachten mich in ihr Versteck.
Gary Cooper sagte nachdenklich: »Da dreht man irgendeine Westernklamotte, wendet einen uralten Trick an und ahnt um alles in der Welt nicht, daß da irgendwo ein Mensch lebt, dem dieser Film das Leben retten wird. Eine verrückte Geschichte.«
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Viel wichtiger ist mir: Einen einzigen habe ich gerettet.
Cooper war von der »verrückten Geschichte« mehr beeindruckt, als ich es ahnen konnte. Nach seiner Rückkehr nach Hollywood schrieb er mir einen langen Brief. Der Brief gehört zu jenen »Souvenirs«, die ich am liebsten habe.
»... habe ich Deine Story, lieber Artur, hier immer wieder erzählt«, hieß es da. »Jeder war davon mächtig beeindruckt. Und jeder erzählte sie weiter. Darüber bin ich verdammt froh. Gab es doch auf den Parties, wo man sich sonst nur die Mäuler zerreißt und Klatsch häkelt, endlich mal ein gutes Thema. Mir selbst geht das alles überhaupt nicht mehr aus dem Kopf. Erst neulich habe ich mit Mrs. Cooper darüber gesprochen (die Dich herzlich grüßen läßt). Immerhin, wenn ich mal abtrete von dieser Bühne, die das Leben heißt, dann weiß ich, daß bei der ganzen Filmerei wenigstens etwas herausgekommen ist. Man sagt mir nach, daß ich Millionen Menschen begeistert habe, aber viel wichtiger ist mir: Einen einzigen habe ich gerettet.«
Eine Zeit des Hungers, der Kälte, der Not und der ständigen Todesangst
Die Zeit, die ich in den Wäldern in der Nähe des San verbracht habe, war eine Zeit des Hungers, der Kälte, der Not und der ständigen Todesangst. Wir lebten zu zwölft in einer in die Erde gegrabenen Höhle: zwei Frauen mit ihren beiden Kindern, drei junge Burschen, zwei ältere Ehepaare und ich. Feuer machen durften wir nur, wenn der Nebel vom Fluß her uns einhüllte wie in dicke, feuchte Tücher.
Nie durften wir ein lautes Wort sprechen. Immer wieder kam es vor, daß deutsche Spähtrupps zum Greifen nah an unserer Höhle vorbeimarschierten. Wir hörten ihre Stimmen, das Knacken und Krachen des Unterholzes - wir hielten den Atem an, beteten, lagen uns stumm in den Armen, wenn die Gefahr vorüber war.
Ich werde mal einen Film machen ........ über dieses Erlebnis
Eines Abends, im beginnenden grüngrauen Dämmerlicht des Waldes, tauchte, wie aus dem Boden gewachsen, ein deutscher Landser vor uns auf. Stoppelbärtig, die Feldmütze leicht ins Genick geschoben, die Maschinenpistole lässig am Gurt über der rechten Schulter, so stand er da.
Er schaute uns der Reihe nach an. Aus der Ferne tönten die Rufe seiner Kameraden. Ich sehe die beiden Winkel auf seinem linken Oberarm noch vor mir, die ihn als Obergefreiten kennzeichneten.
Eine Ewigkeit verging. Dann tippte er mit zwei Fingern seiner linken Hand gegen seinen Mützenrand, grinste, drehte sich um und verschwand.
»Wenn ich hier je wieder rauskommen sollte«, habe ich mir damals geschworen, »dann werde ich einen Film drehen. In diesem Film wird diese Höhle vorkommen und die Menschen, die darin lebten, und all die Not und das Entsetzen und dieser deutsche Soldat, er wird auch darin erscheinen.«
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Sein Titel wäre »Morituri« - Die Todgeweihten.
Er hat mich in meinem Glauben bestärkt: Es ist nicht wichtig, ob einer Russe ist oder Franzose oder Engländer oder Jude oder Deutscher, wichtig allein ist, daß er ein Mensch ist und menschlich handelt.
Ich habe deshalb auch nie richtig hassen können in meinem Leben. Bei allem Entsetzlichen, das ich erleben mußte. Kämpfen, ja, das konnte ich, aber hassen, nein. Man kann es einfach nicht, wenn man überzeugt davon ist, daß letztlich doch alle Brüder sind.
Als ich Jahre später, September 1947, meinen Film begann, wußte ich deshalb ganz genau, was ich wollte. Ich wollte keinen antideutschen Film machen. Es sollte ein Film werden, der beitrug, zu verhindern, daß sich das, was geschehen war, wiederholte. Sein Titel war »Morituri« - Die Todgeweihten. Ich ging mit ungeheurem Idealismus an die Arbeit. Und wäre doch um ein Haar auf der Strecke geblieben.
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Meine Freundin Winnie .....
Josef Sieber war dabei, Carl-Heinz Schroth, Hilde Körber, Klaus Kinski (in seiner ersten Rolle) und meine Freundin Winnie, die immer noch schöne Winnie Markus, die heute mit dem Salzmillionär Adi Vogel verheiratet ist. Das Schloß Fuschl bei Salzburg ist eines der Häuser in vier Ländern, in denen sie »residiert«. Bei den letzten Salzburger Festspielen traf ich sie dort.
Wir gingen in den »Goldenen Hirsch« zum Essen. Curd Jürgens hatte den »Jedermann« gespielt, Giorgio Strehler die Königsdramen Shakespeares inszeniert, im Landestheater lief Molieres »Menschenfeind« unter der Regie von Noelte, Karajan hatte dirigiert - gesprochen aber haben wir beide, die Winnie und ich, nur über ein Thema: über jene ersten Nachkriegsjahre in Berlin.