Die Lebensbiografie von Heinrich Fraenkel (1960)
In diesem Buch beschreibt Heinrich Fraenkel (1897-1986†) seinen Werdegang und seine Erfahrungen mit den Menschen aus seinem persönlichen Umfeld, den Politikern, den Künstlern und auch den einfachen Menschen. Aus diesem Grund ist seine Biografie für uns so wichtig - auch für das Verstehen seiner beiden dicken Filmbücher, die er 1957 und 1958 geschrieben hatte.
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Der »Gegenprozeß« des Reichstagsbrand-Prozesses
Eine ähnliche Periode gab es einige Jahre später im spanischen Bürgerkrieg und dann wieder im Jahre 1943, als wir die Freie Deutsche Bewegung gründeten. Aber in beiden Fällen folgte dem Rausch der Begeisterung die Ernüchterung eines nicht weniger beträchtlichen Katzenjammers.
Ich will jedoch den Ereignissen nicht vorgreifen. Wir halten ja noch beim »Gegenprozeß«, und es mag heute nicht ohne ein gewisses historisches Interesse sein, diesem Unternehmen ein paar Zeilen zu widmen.
Ein »Prozeß« war es natürlich nicht, denn es war keine amtliche, sondern eine durchaus private Veranstaltung: die "legal inquiry into the causes of the Reichstag fire".
Unter dem Vorsitz von Sir Stafford Cripps (der später viele Jahre lang hohe Ministerposten bekleidete) hatten sich eine Reihe prominenter Juristen aus aller Welt zusammengefunden, um das über die Brandstiftung und ihre Ursachen verfügbare Tatsachenmaterial zu prüfen sowie durch Zeugenvernehmungen eine weitere Klärung zu versuchen.
Es wurden einige Reichstagsabgeordnete gehört, die noch kurz vor der Brandnacht im Hause gewesen waren, sowie auch einige Angehörige und Freunde von Torgier und van der Lubbe, die in Leipzig auf der Anklagebank saßen.
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Die Nazis schickten Dr. Sack nach London
Von den neuen deutschen Machthabern wurde dieser »Gegenprozeß« zwar als eine von den Kommunisten angezettelte Einmischung in die Hoheitsrechte eines souveränen Staates bezeichnet, aber immerhin wurde die Sache vom Leipziger Reichsgericht ernst genug genommen, um Torglers Offizialverteidiger, Dr. Sack, für einige Tage nach London zu schicken.
Ich kannte ihn oberflächlich von gelegentlichen gesellschaftlichen Begegnungen in Berlin, und als er am Dolmetschertisch vorbeiging und mich dort sitzen sah, grinsten wir uns wortlos an.
Auch bei späteren Begegnungen im Verhandlungssaal schnitten wir uns geflissentlich, denn für ihn war ich ja ein Emigrant, dessen Bekanntschaft kompromittierend wäre, und für mich war er ein Vertreter des verhaßten Regimes.
Dabei hatte ich ihn als einen klugen und interessanten Gesellschafter in Erinnerung. Er ist übrigens später selber von den Machthabern verfolgt worden und hat ein schlimmes Ende genommen. (Bislang habe aber keine Unterlagen über Alfons Gustav Sacks Ende gefunden außer : Dr. Sack kam 1944 bei einem Bombenangriff in Brandenburg ums Leben.)
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Den Brand nutzte die NSDAP, das Ermächtigungsgesetz durchzupeitschen
Ob van der Lubbe der alleinige Brandstifter war (was ich bezweifle) oder ob die noch keineswegs entkräfteten Indizien einer Beteiligung der NSDAP im Lichte weiterer objektiver Forschung Gültigkeit behalten, scheint mir heute nicht mehr sehr belangvoll.
Wesentlich und von historischer Bedeutsamkeit scheinen mir heute nur zwei Tatsachen; und zwar in erster Linie die in ihrer historischen Wirksamkeit entscheidend wichtige Tatsache, daß die NSDAP aus dem Brande einen für sie unschätzbar wichtigen Nutzen zog, nämlich die sofortige Möglichkeit, das Ermächtigungsgesetz durchzupeitschen und somit die totalitäre Diktatur eines Polizeistaates zu errichten.
Ob das durch eigene Brandstiftung oder durch die Ausnützung eines erstaunlichen Glücksfalles gelang, ist heute nur noch von sekundärer Bedeutung. Nicht ohne ein gewisses historisches Interesse ist dagegen die ebenso unleugbare Tatsache, daß der Leipziger Prozeß eine der wenigen Schlappen bedeutete, die das Regime in den ersten Jahren einstecken mußte.
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War der »Gegenprozeß« ein kommunistisches Manöver gewesen ?
Was aber ist historisch, also mit objektiver Gelassenheit gesehen, zu dem Vorwurf zu sagen, der ganze »Gegenprozeß« sei ein kommunistisches Manöver gewesen?
Der Vorwurf ist sachlich nur zum Teil, wenn auch zu einem erheblichen Teil, berechtigt, und im übrigen ist es eigentlich gar kein Vorwurf, denn man konnte es ja den Kommunisten kaum verübeln, daß sie sich gegen die Anschuldigung zur Wehr setzten, sie seien selber die geistigen Urheber der Brandstiftung gewesen; eine zweifellos unsinnige Anschuldigung, die nicht nur jedes vernünftigen Motivs, sondern auch jeder sachlichen Grundlage entbehrte.
Übrigens bestand, von einer oder zwei Ausnahmen abgesehen, die überwiegende Mehrheit des internationalen Juristengremiums aus Persönlichkeiten, die keineswegs der KP nahestanden.
Und auch sonst waren die Kommunisten bei dieser Aktion nicht ganz in dem hohen Maße federführend, wie sie sich den Anschein gaben. Was mich betrifft, so war das meine erste praktische Lehre dafür, daß die Kommunisten bei jeder überparteilichen Aktion, an der sie sich beteiligen, die Tendenz haben, die Federführung an sich zu reißen, wozu sie jederzeit dank ihrer straffen Disziplin und dank der Lautstärke ihrer Propaganda in der Lage sind; und daß sie dann die Situation noch weiter zu verwirren pflegen, indem sie ihre Beteiligung gleichzeitig übertreiben und tarnen, und zwar meistens mit sehr erkennbaren Tarnkappen.
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Ich absolvierte gewissermaßen meine politische "Vorschule "
Es war meine erste, aber bei weitem nicht die einzige Lehre dieser Art. Denn es begann schon jetzt die Periode der »Volksfront«, die sich über die Jahre des spanischen Bürgerkrieges hinzog und in der ich, bis zum Beginn des Weltkrieges, gewissermaßen meine politische Vorschule absolvierte.
Die »Volksfront« platzte natürlich genau in dem Moment, als die Kommunisten den Krieg der Alliierten gegen das Dritte Reich als beiderseitig »imperialistisch« bezeichneten.
Erst einundzwanzig Monate später, als Hitlers Armeen in Rußland einfielen und der bis dahin imperialistische Krieg plötzlich »vaterländisch« wurde - erst dann wurde die geplatzte Volksfront wieder zusammengeleimt.
Auch darüber wird noch einiges zu sagen sein, aber zu diesem Zeitpunkt - das will ich wenigstens hoffen - war ich nicht mehr der politische Vorschüler, als der ich in den spanischen Krieg zog.
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Mein spanisches Abenteuer, eine naive Donquixotiade
Auch dieses Erlebnis möchte ich nicht aus meiner Erinnerung missen, obschon ich heute (und schon seit vielen Jahren) nicht umhin kann, mein spanisches Abenteuer als eine für einen erwachsenen Menschen reichlich naive Donquixotiade zu betrachten.
Immerhin war es mir damals bitter ernst, und bei aller politischen Naivität hatte ich zweifellos das richtige Gefühl, daß jetzt oder nie und auf eben jenen spanischen Schlachtfeldern die Entscheidung darüber fallen würde, ob es gelänge, die Hitlerei und den Faschismus zu beseitigen, bevor ganz Europa in ein Blutbad getaucht würde.
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Die Deutschlandpolitik der Westalliierten .......
Aber damals war ja die Deutschlandpolitik der Westalliierten schon lange in dem gleichen falschen Fahrwasser wie vorher in den zwanziger Jahren und später in den Jahren nach dem Kriege: es war eine Politik, die es mit erstaunlicher Fehlsicherheit verstand, immer im falschen Moment und den falschen Gruppen gegenüber entweder aufzutrumpfen oder aber zu schwach zu sein.
Die Engländer haben ein schönes Sprichwort: "Man kann seinen Kuchen verspeisen oder man kann ihn behalten, aber beides kann man nicht."
Die Außenpolitik Chamberlains brachte es fertig, den Kuchen weder zu verspeisen noch zu behalten und Hitler und Mussolini bis zum Tage des Münchener Abkommens (herbst 1938) jede Trumpfkarte auf dem Silbertablett zu überreichen.
Allerdings lagen die Tage von München noch über zwanzig Monate lang im Schoße der Zukunft, als ich 1936 in den spanischen Krieg zog.
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Auf eigene Kosten zur Internationalen Brigade .....
Ich hatte es sehr eilig und fuhr schon in den allerersten Monaten, und da mich niemand gerufen hatte, fuhr ich auf eigene Kosten.
Das von dem Minister del Vajo unterzeichnete "Salvo Conducto" besorgte ich mir mit einigen Schwierigkeiten, mit viel Geduld und mit erheblichen Spesen durch literarische Beziehungen in Paris.
Ich wollte natürlich zur Internationalen Brigade, und mein ehrlich begeistertes Herz schlug höher, als ich schon in den Hotelhallen von Barcelona und Valencia sonnenverbrannte Uniformträger mit Kopfverbänden und Armschlingen sah.
Meine erste Ernüchterung bestand in der Feststellung, daß diese Verwundungen zumeist durch Autounfälle verursacht waren, was ja schließlich bei dem Temperament spanischer Fahrer kein Wunder war.
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Erkenntnis - ich war überhaupt nicht Kriegsdienst tauglich
Da ich kurzsichtig und etwas schwach auf der Brust war und im übrigen nicht einmal ein Maschinengewehr putzen, geschweige denn einen Flugzeugmotor reparieren konnte oder irgendeine der militärischen oder technischen Qualifikationen besaß, die man damals noch verlangte, so bestand mein Versuch, mich als Freiheitskämpfer zu qualifizieren, im wesentlichen aus Irrfahrten.
Ich durfte zwar vor Tarragona in einem zum Stillstand gekommenen Zug (und in einem maßlos überfüllten und knoblauchduftenden Abteil) einen Stuka-Angriff deutscher und italienischer Flieger erleben; ich kam auch einmal zwischen Valencia und Madrid ins MG-Feuer einer nicht näher erkennbaren Jagdmaschine - vielleicht sogar einer von Francos eigenen - aber sonst kam bei meiner Reise nicht viel mehr heraus, als daß ich in der Silvesternacht 1936/37 in einem kleinen Kino Valencias während eines Fliegerangriffes einen Bergner-Film sah, dessen Premiere ich viele Jahre vorher (wenn auch ohne spanische Zwischentitel) in Berlin erlebt hatte; und daß ich mit spanischer Höflichkeit durch viele Vorzimmer komplimentiert wurde, bis mein Geldbeutel so weit zusammengeschrumpft war, daß ich gerade noch das Fahrgeld dritter Klasse nach London hatte.
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Eigentlich hatte ich immens viel Glück ...
Eigentlich konnte ich von Glück sagen und hatte es vermutlich nur meiner politischen Naivität zu verdanken, daß ich bei meinen Kreuzzügen durch Spanien und durch allerlei sehr verschiedenartige und sehr mißtrauische Dienststellen nicht wegen Spionageverdachts festgenommen und an die Wand gestellt wurde.
Denn die meisten der verschiedenen Gruppen und Grüppchen auf der republikanischen Seite haßten einander nicht weniger als den gemeinsamen faschistischen Feind.
Da war die traditionelle Todfeindschaft zwischen den straff disziplinierten Linienkommunisten stalinistischer Prägung und den »Trotzkisten«, deren Gruppe in Spanien als "P.O.U.M." firmierte; da waren die »Anarchisten«, die eigentlich Syndikalisten waren und bei den meisten anderen Gruppen auf eine Abneigung stießen, die mit nicht minderer Bitterkeit erwidert wurde.
Da waren verschiedene sozialdemokratische Gruppen, die natürlich mit den Stalinisten auf dem Kriegsfuß standen; und schließlich waren da die weder sozialistischen noch gar kommunistischen Gruppen, die in der Regierung des republikanischen Spaniens vertreten waren: »Rotspanien«, wie es damals in der gegnerischen Presse genannt wurde, also auch - abgesehen von unseren paar Emigrantenblättchen - in der gesamten deutschen Presse.
Eine sehr präzise Bezeichnung war das freilich nicht, denn die überwiegende Mehrheit der in der republikanischen Regierung vertretenen Persönlichkeiten war weder kommunistisch noch auch nur sozialdemokratisch; wollte man sie parteipolitisch etikettieren, dann hätte man sie getrost »demokratisch« oder gar »national-liberal« nennen können.
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Hilfe von der "UdSSR" war natürlich willkommen
Daß sie in ihrem jahrelangen Verzweiflungskampf gegen die rebellierenden Generäle etwas Hilfe von der UdSSR annahmen,
konnte man ihnen kaum verdenken.
Und im übrigen kamen diese Hilfeleistungen keineswegs so pünktlich, so regelmäßig und in so massivem Umfang wie die von Hitler und Mussolini den »Nationalspaniern« zugeleitete Hilfe an Kriegsmaterial und Fachkräften: eine Hilfeleistung, die im dritten Kriegsjahr so erhebliche Ausmaße erreichte, daß auch der tapferste Widerstand gegen solche technische und numerische Übermacht zusammenbrechen mußte.
Im ersten Kriegsjahr, als ich in Spanien war, wurde der Krieg freilich noch keineswegs mit solchem Massenaufwand geführt; die zahlreichen italienischen Divisionen, die später Francos maurischen Söldnern das Rückgrat lieferten, waren noch nicht erschienen; und die paar tausend Mann der Internationalen Brigade reichten noch gerade aus, um ihrerseits der republikanischen Armee das Rückgrat zu steifen und um Madrid vor dem ersten Ansturm zu retten.
Man hat vielfach behauptet, die Internationale Brigade sei ein ausschließlich kommunistischer Stoßtrupp gewesen, aber auch das ist gewiß nur zum Teil richtig. Von den tapferen jungen Männern, die aus Frankreich, England, Amerika und vielen anderen Ländern kamen - auch aus Deutschland und Italien, also denselben Ländern, deren Staatsmacht den Gegner unterstützte - von all diesen wahrhaft freiwilligen Kämpfern waren gewiß nicht alle von der Parteidisziplin getrieben.
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November 1936 - als die Entscheidung begann
Viele, sehr viele (und besonders viele Deutsche) waren von niemandem gerufen als der Stimme des eigenen Gewissens, und viele waren nur unter großen Schwierigkeiten und Opfern nach Spanien gelangt.
Sie waren grundverschieden nach Herkunft, Sprache und Weltbild, aber eines war ihnen allen gemeinsam: die Überzeugung, daß hier auf dieser Halbinsel, vor dieser Stadt Madrid, in diesem November 1936, die Entscheidung begann, ob sie in ihrer eigenen Heimat in Freiheit leben könnten, ohne daß dieses spanische Blutbad ganz Europa überschwemmte.
Die Männer der Brigade waren sehr verschiedener Art. Es waren abgestempelte Politiker unter ihnen, und durchaus nicht alle von der gleichen Parteifarbe, und es waren Menschen unter ihnen, die vorher wenig von Politik wissen wollten.
Viele von ihnen neigten nach Herkunft und Erziehung eher zur Feder als zum Schwert, und manche hatten sich Pazifisten genannt. Aber alle diese Männer hatten gelernt - und die meisten hatten es nicht gern gelernt -, daß man der rohen Gewalt nur mit Gewalt begegnen und daß man sich gegen Panzer und Jagdflieger nicht mit ethischen Prinzipien und dialektischen Argumenten wehren kann.
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Am Ende nahm es ein schlimmens Ende ...
Viele dieser Männer sind auf den spanischen Schlachtfeldern verblutet, und von denen, die den Krieg überlebt haben, sind die meisten in französische Konzentrationslager gekommen, um später - sofern sie Deutsche waren - an die Gestapo ausgeliefert zu werden.
Andere endeten in GPU-Gefängnissen (Gefängnisse der sowjetischen Geheimpolizei), und indem sie zu Prügelknaben von Schauprozessen wurden, bekräftigten sie erneut und unter sehr tragischen Umständen das Wort, daß Revolutionen ihre eigenen Kinder morden.
Ein schlimmes Ende für eine der wenigen wahrhaft heroischen, also aus schierem Gewissenszwang und unbändigem Freiheitswillen geborenen Aktionen dieses unheroischen Jahrhunderts.
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Das sinnbildliche Symbol dieses Freiheitskampfes
Nie werde ich das bei aller kindlichen Naivität doch so ungemein sinnbildliche Symbol dieses Freiheitskampfes vergessen, das man mitten auf der Plaza Emilio Castellar in Valencia errichtet hatte: haushoch war dieses Standbild und war doch nichts wie eine riesige Faust, die ein Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett gen Himmel reckte.
Oft genug - ich hatte ja leider nicht viel anderes zu tun - stand ich vor dieser Statue und betrachtete die auf den großen dreieckigen Sockel gemalten Bilder, in denen das Spanien der Unterdrückung und der Wunschtraum eines freien Spaniens geschildert waren; naive Bilder und noch naivere Texte im Stil einer Kinderfibel und doch seltsam eindringliche Bilder und Texte.
Ging man dann bis an den Rand des großen Platzes und ließ die Gesamtheit des Bildes auf sich wirken, dann fühlte man, daß diese Plastik mit ihrem Sockel aus Pappmache und Fibeltexten - daß dieses, mit unkünstlerischen Mitteln plump hingehauene Standbild doch ein Kunstwerk war: diese Faust, die das Bajonett gen Himmel reckte, war ein erschütternd einfacher und einprägsamer Ausdruck für ein Volk, das die Faust erhoben und zum Messer gegriffen hatte, um seine Freiheit zu verteidigen.
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Heute weiß ich - der Kampf mußte scheitern ....
Dieses Volk und die Menschen, die ihm aus aller Welt zu Hilfe eilten, kämpften einen großen Kampf. Sie zeigten viel Opfersinn, den ihnen niemand dankte, viel Heldenmut, dem nie ein Lied gesungen wurde; sie lebten, kämpften und starben für eine Sache, der eine indolente Mitwelt allenfalls ein freundliches Lippenbekenntnis zollte.
Der Kampf mußte scheitern, weil in jenen Jahren die Weltpolitik nur darauf gerichtet war, die immer mächtiger werdenden Diktatoren Mittel- und Südeuropas "nicht zu verstimmen".
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Spanien war die Ouvertüre zum 2. Weltkrieg ...
So müde waren die Menschen Westeuropas der Gewalt, so tief war ihre Sehnsucht nach Frieden, daß sie eine jede und schließlich auch die allerletzte Chance verpaßten, eben jenen gefürchteten Krieg zu verhindern, dessen Ouvertüre sich auf spanischen Schlachtfeldern abspielte.
Und diese allerletzte Chance, es bei der Ouvertüre bewenden zu lassen, wurde vertan, als Chamberlain und Daladier auf Hitlers und Mussolinis Geheiß nach München eilten.
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Chamberlain und Daladier reisten nach München
Es war der Gipfelpunkt einer Politik, die ein Raubtier durch appetitfördernde Bissen zu zähmen hoffte. Der fetteste dieser Bissen war die tschechische Bastion nebst der Waffenschmiede von Skoda.
Dieses gewaltige Geschenk sich in den Schoß werfen zu lassen und damit die machtpolitische Waage vollends zu seinen Gunsten zu neigen - das war gewiß der genialste Bluff in Hitlers erstaunlicher Laufbahn, und wenn künftige Historiker den Gipfelpunkt dieser Laufbahn zu bestimmen suchen, dann werden sie gewiß nicht den Tag im Juni 1940 nennen, als Hitler im Wald von Compiegne und im historischen Salonwagen den geschlagenen Franzosen die Warfenstillstandsbedingungen diktierte; denn an jenem für ihn scheinbar so triumphalen Tag war er ja schon im unaufhaltsamen Abrutsch in das Verderben, in das er sein eigenes Volk und ganz Europa ziehen sollte.
Nein, die Historiker werden den Tag von München nennen, an dem Adolf Hitler seinen Gipfelpunkt erreichte. Und sie werden gewiß dabei einiges über die verhängnisvolle Dynamik der Diktatur zu sagen haben, die den Keim ihres eigenen Verderbens in der eigenen Hybris trägt: in der Unfähigkeit, sich mit dem Gipfelerfolg zu bescheiden und ihn geruhsam zu konsolidieren.
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Ja, wenn die Westmächte fest geblieben wären ......
Schon jetzt ist wohl historisch erwiesen, daß, wenn die Westmächte in München fest geblieben wären, deutsche Generäle ihrem Führer die Gefolgschaft verweigert hätten.
Der Bluff wäre gescheitert, und dem deutschen Volk und ganz Europa wären sehr viel Blut und Tränen und namenloses Elend erspart geblieben.
Das Schicksal hat es anders gewollt, aber ich selbst fand eine wichtige Lehre meiner politischen Erkenntnis erst sieben Jahre später bestätigt, als ich auf meiner ersten Heimreise (nach 1945) mit einigen jungen Deutschen über den Tag von München sprach.
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Sie waren mir eine Lehre, die Gespräche mit jungen Deutschen
Sie waren alle zwischen 25 und 30, hatten also die schrecklichen Folgen jenes Tages fast vom ersten bis zum letzten Kriegsjahr am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Der eine oder andere der jungen Menschen stammte aus Familien, die aus mancherlei Gründen dem Hitler-Regime niemals freundlich gesinnt waren.
»Gewiß waren wir dagegen«, bestätigte nachdenklich einer der jungen Deutschen, »oder genauer und ehrlicher gesagt: wir waren nicht ganz so begeistert dafür, wie man uns das in der HJ gelehrt hatte. Aber wollen Sie, der Sie die ganze Zeit im Ausland waren und einen erheblich weiteren Abstand von den Dingen Mitteleuropas hatten - wollen Sie von den jungen Deutschen jener Zeit mehr politische Einsicht und Urteilskraft verlangen als von den Premierministern Englands und Frankreichs, die Hitler bis nach München nachliefen?«
Ich mußte auf dieses Argument die Antwort schuldig bleiben, und als mir dann ein anderer der jungen Leute erklärte, erst der Tag von München habe alle Zweifel zerstreut, die er und seine Familie vorher über Hitler gehegt hätten, da konnte ich ihm nur mit gleicher Ehrlichkeit antworten, daß ich das jetzt durchaus begreiflich fände, und daß wir die Dinge aus unserer Emigrantenperspektive eben anders sehen mußten.
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Die Menschenmassen begrüßten den Premierminister
Aber ich will der Beschreibung meiner ersten Heimreise nicht vorgreifen, denn noch ist einiges über die Emigration zu sagen. Am Tage von München war ich schon längst wieder in London und hörte dort den hysterischen Jubel, mit dem die Menschenmassen in Whitehall und Trafalgar Square den "heimgekehrten" Premierminister begrüßten.
»Ich bringe euch den Frieden«, rief der alte Herr, und die Menschenmassen jubelten wiederum, denn eben den Frieden ersehnten sie. »Ich bringe euch einen ehrenvollen Frieden«, betonte der alte Mann, und es gelang ihm offenbar, sich selbst über den Verrat an den Tschechen zu täuschen.
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Es war wirklich ein übler Verrat an den Tschechen
Wir, die wir vom Kontinent kamen, wußten, daß er sich täuschte. Wir wußten, daß der "redliche" alte Herr aus Birmingham dem Triumphator aus Braunau nicht gewachsen war.
Wir wußten, daß er keineswegs den Frieden brachte, gewiß keinen ehrenvollen und nicht einmal einen unehrenhaften. Wir wußten, daß der Weltkrieg jetzt unvermeidlich war, und zwar unter den denkbar ungünstigsten Bedingungen.
Wir wußten, daß keine Macht der Welt jetzt noch imstande wäre, dem Triumphator in den Arm zu fallen und ihn um seinen öffentlich geäußerten Lieblingswunsch zu bringen, den Krieg noch vor seinem fünfzigsten Geburtstag oder doch nicht allzuviel später zu entfesseln.
Ich wußte, daß jetzt alles vertan und sinnlos war, was wir in den letzten fünf Jahren unternommen hatten, daß alle Warnungen zwecklos geblieben waren.
Nicht, als ob ich mit meiner düsteren Prognose über die Folgen des Münchener Abkommens allein gestanden hätte. Es war zwar eine Minderheit, die meinen Pessimismus teilte, aber es waren darunter, gerade in England, Menschen von hohem Rang und großem Namen, wie etwa die Minister Eden, Cranbourne und Duff Cooper, die dem Premierminister Chamberlain die Gefolgschaft kündigten.
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Auch Winston Churchill sah die Gefahr.
Auch Winston Churchill, damals ohne Amt und bei seinen eigenen Parteiführern nur als lästiger Kritiker geltend, sah die Gefahr. Aber er schwieg, als der Premierminister die Sitzung des Unterhauses mit der Bemerkung unterbrach, er habe soeben ein Telegramm des deutschen Kanzlers mit der "Einladung" nach München bekommen.
Er hoffe, im Sinne des Hohen Hauses zu handeln, wenn er die Einladung freudig annehme. Die überwältigende Mehrheit der Regierungspartei gab dieser Freude lauten Ausdruck. Nur Winston Churchill war unter den wenigen, die schweigend sich dem Jubel der Mehrheit verschlossen.
Aber er stand nicht auf, um dem Regierungschef zuzurufen: Gehen Sie nicht nach München! Sie werden sich dort mitschuldig machen, Europa ins Verderben zu stürzen!
Immerhin machte Churchill an diesem Tage im Rauchzimmer des Hauses einen Witz, der sofort durch die Wandelgänge zirkulierte. Es war ein sehr bitteres und treffendes Witzwort dieses nie um ein Bonmot verlegenen Staatsmannes.
- »Was wollen sie«, sagte er zu ein paar Parlamentskollegen, »der gute Chamberlain hatte eben nur die Wahl zwischen Krieg und schimpflichem Verrat; und um ganz sicher zu gehen, hat er beides gewählt.«
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Wir Emigranten hatten keinen Zweifel, daß der Krieg kommt
Darüber, daß der Krieg nunmehr nicht verhindert, sondern unvermeidlich war, gab es unter den sonst so uneinigen Emigranten keinen Zweifel, und wenn ich hinzufüge, daß um diese Zeit die politische Emigration ihren Standort zu finden begann, so meine ich das nur im geographischen, keineswegs im ideologischen Sinne.
Der geographische Standort war im wesentlichen durch die Expansion des Dritten Reiches diktiert. Logischerweise gingen die literarischen Emigranten schon aus sprachlichen, also beruflichen Gründen zunächst nach Wien und Zürich, während die Sozialdemokraten aus politischen Gründen zunächst nach Prag, und die Kommunisten, zumindest die erste Garnitur, nach Moskau gingen.
Von der zweiten Garnitur wurden einige schon frühzeitig nach Paris und London dirigiert; andere, darunter immerhin ein paar ehemalige Reichstags- und Landtagsabgeordnete, kamen später nach, und als dann in den Jahren 1938/39 zunächst Wien und später Prag für deutsche Emigranten ausfiel, verlegte sich das Schwergewicht der politischen Emigration nach London.
Ein Jahr später kamen dann noch die aus Frankreich und Norwegen geflüchteten Emigranten dazu, und als zweifellos wichtigste Gruppe der Parteivorstand der SPD (Vogel, Ollenhauer, Heine) und ein paar Dutzend anderer ziemlich aktiver Sozialdemokraten sowie die Führer einiger sozialistischer Splitterparteien, die sich später der SPD anschlossen.
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Die Kommunisten in Lonodon waren »bürgerlich getarnt«
Von den Kommunisten - getreu der »konspirativen Taktik« -firmierten nur diejenigen unter dem eigenen Parteizeichen, die es beim besten Willen nicht verbergen konnten; also ehemalige Reichstagsabgeordnete wie Wilhelm Koenen und Hugo Graf, Landtagsabgeordnete wie Karl Becher und Emmi Damerius (Koenens Frau) und offiziell anerkannte Funktionäre wie Hans Fladung und Heinz Schmidt, der die aus Prag unmittelbar vor dem deutschen Einmarsch evakuierten Emigranten leitete: eine numerisch ziemlich starke Gruppe, die in hohem Maße (obschon keineswegs ausschließlich) aus Mitgliedern der KPD bestand.
Aber gerade unter den prominentesten der nach England emigrierten Kommunisten waren einige - wie etwa Jürgen Kuczynski und Alfred Meusel - die »bürgerlich getarnt« waren oder es sich doch wenigstens einzubilden schienen.
Wen sie damit zu täuschen hofften, war mir schon damals unerfindlich; denn obschon sie nie zugaben, Mitglieder der KPD zu sein, wußte es ohnehin jeder, der es wissen wollte, und gewiß auch die englischen Behörden, die ihnen Asylrecht gewährten.
Nie verfehlte Kuczynski nach einem »Volksfront«-Abend in seiner Wohnung darum zu bitten, in kleinen Gruppen von zwei oder drei wegzugehen. Das gehörte nun einmal zur konspirativen Taktik.
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Der obsterste KP-ler Kuczynski war etwas naiv
Ich habe ihn mehr als einmal gefragt, ob er denn ernsthaft glaube, der brave Schutzmann (Bobby) an der nächsten Straßenecke würde sich sehr darüber aufregen, wenn aus irgendeinem von Emigranten bewohnten Hause ein Dutzend oder gar zwanzig Leute geschlossen herausmarschierten.
Er zuckte dann nur lächelnd die Schultern, aber ich wußte ja, daß die »konspirative Taktik« zum Erziehungsprogramm der Partei gehörte. Außerdem machte es gewiß den jungen Leuten Spaß, die man an solchen Abenden sehr subtil, also unter möglichst völliger Vermeidung des Wortes »Kommunismus«, im Sinne der Partei zu beeinflussen suchte.
Das war schon die zweite Emigrantengeneration, also Halbwüchsige, die gewiß an der konspirativen Taktik nicht weniger Freude hatten als die HJ an ihren Ehrendolchen und Fackelzügen.
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Es gab auch auch politische Emigranten außerhalb der KPD
Abgesehen von den Jugendlichen und ihren mehr oder minder getarnten Mentoren, fand man aber bei solchen Sitzungen, Versammlungen und Diskussionsabenden auch politische Emigranten, die gewiß nicht der KPD nahestanden.
Prinz Hubertus zu Löwenstein etwa, dem ich öfters bei Volksfrontabenden im Hause Kuczynski oder anderswo begegnete, oder auch sein Halbbruder Alvensleben; auch der eine oder andere Sozialdemokrat kam ab und zu in solche Sitzungen, sowie die ehemaligen Reichstagsabgeordneten Adele Schreiber und August Weber, und eine ganze Menge durchaus bürgerlicher und nur am Rande politisch interessierter Emigranten.
Sie taten es, weil der politisch denkende Emigrant den Kontakt mit seinen Schicksalsgenossen brauchte und ihn oft genug suchte, auch obwohl die politischen Gedanken grundverschieden waren und den einzigen Generalnenner eben jene Schicksalsgemeinschaft bildete, von der Heimat abgeschnitten zu sein.
Ich war vom Begriff der »Volksfront« beeindruckt ....
Ich selbst suchte solche Kontakte besonders hartnäckig und gerade, weil wir politisch uneinig waren. Ich war vom Begriff der »Volksfront« beeindruckt, eben weil ich überzeugt war, daß der Triumph des Nationalsozialismus in Deutschland und des Faschismus in Italien wesentlich der Uneinigkeit der Gegner zuzuschreiben war.
Ich war zwar nicht mehr naiv genug, um nicht auch damals schon ziemlich klar zu sehen, daß in der von der KP inspirierten »Volksfront« ich selbst und andere Nicht-Kommunisten als »bürgerliche Feigenblätter« mißbraucht wurden; aber ich hielt es für meine Pflicht, jedem ernsthaften Versuch zu dienen, der sich darum zu bemühen schien, die Fehler der Vergangenheit zu erkennen und zu kurieren.
In diesem Gefühl von "mea culpa, mea maxima culpa" (Anmerkung : meine Schuld, ich bekenne es) für die Fehler der Vergangenheit schien es mir keineswegs ein mildernder Umstand, daß ich immer noch, genau wie vor Hitlers Machtergreifung, zwischen den parteipolitisch etikettierten Stühlen saß, obschon es mir gewiß nicht an Kontakten mit den vielen parteipolitischen Gruppen und Grüppchen fehlte, die sich inzwischen im Londoner Exil angefunden hatten.
Von ihnen hatte zweifellos der Parteivorstand der SPD das politisch größte Gewicht, die numerisch stärkste Gefolgschaft und den zuverlässigsten Informationsdienst über die oppositionellen Bewegungen innerhalb des Dritten Reiches.
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Winter 1939 - Mein Buch : "The German People versus Hitler"
Für mich war das ein Teil meines Quellenmaterials für meine journalistische Arbeit und für einen fast 400 Seiten starken Wälzer, den ich damals schrieb, und der ein paar Wochen nach Kriegsbeginn unter dem Titel "The German People versus Hitler" (Das Deutsche Volk contra Hitler) erschien: eine Zusammenstellung der mannigfaltigen oppositionellen Strömungen, in denen sich soviel Heldenmut und Opferbereitschaft, wenn auch leider gar keine Kooperation offenbarte.
Ich hielt also ständigen Kontakt nicht nur mit deutschen Politikern, sondern auch mit den nach England geflüchteten Pastoren, die vorher in der Kampfbewegung der "Bekennenden Kirche" gestanden hatten.
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Ich wollte den »Kulturbund« und andere KP Organisationen nicht meiden
Von den Politikern sah ich von Zeit zu Zeit Erich Ollenhauer und den damaligen SPD-Führer Hans Vogel (den wir einige Jahre später in London zu Grabe trugen), viel regelmäßiger freilich Fritz Heine, der, solange er in London lebte, fast allwöchentlich zu einem politischen Gespräch kam.
Begreiflicherweise nahmen es mir meine sozialdemokratischen Freunde übel, daß ich mich hartnäckig weigerte, die »Volksfront«, den »Kulturbund« und andere von der KP inspirierte Tarnorganisationen zu meiden und zu verurteilen.
Was ich daran verurteilte, war eben nur die Tarnung, die ich für sehr töricht hielt und den Kommunisten übelnahm.
Was ich dagegen den Sozialdemokraten übelnahm, war ihre grundsätzliche und offenbar unwiderrufliche Weigerung, mit der (getarnten oder ungetarnten) KP zu paktieren, selbst wenn gegen die momentane »Linie« sachlich nicht viel einzuwenden war.
Ich hatte mit meinem Freund Fritz Heine und auch mit Erich Ollenhauer manches lange (und fruchtlose !!) Gespräch über dieses Thema. Natürlich gab ich ihnen ohne weiteres zu, daß bei der KP mit einer Linienänderung der Deutschlandpolitik gerechnet werden müsse, wann immer das dem Kreml opportun scheinen würde, denn eben das war einer der Gründe, die es mir jederzeit unmöglich machten, einer Partei beizutreten, die letzten Endes immer nur der Befehlsempfänger einer fremden Weltmacht sein konnte.
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Die die »Volksfront« war geplatzt - am Tag des Russenpakts
Immerhin, so schien es mir, sollte man deshalb nicht grundsätzlich jede Zusammenarbeit mit diesen so arbeitsamen und gut disziplinierten Menschen ablehnen, solange gegen die gerade geltende »Linie« nichts Wesentliches einzuwenden war.
Kam es zu einer Linienänderung, dann könnte man ja immer noch die Zusammenarbeit abbrechen. Auf diese Linienänderung brauchten wir nicht lange zu warten.
Sie kam am Tage, nachdem Ribbentrop nach Moskau geflogen war, um mit Stalin den Russenpakt zu unterzeichnen; und sie äußerte sich zwei Wochen später, als der nun vollends unvermeidliche Krieg von den Kommunisten prompt als »imperialistisch« (und zwar als beiderseits imperialistisch) bezeichnet wurde.
Damit war die »Volksfront« geplatzt. Unser eigener letzter Diskussionsabend - wieder einmal in Jürgen Kuczynskis Wohnung - lebt in meiner Erinnerung fort wie eine Varietevorstellung eines besonders tüchtigen Illusionisten.
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Die Kapriolen unseres Gastgebers glichen einer Hirnakrobatik
Ich konnte nicht umhin, mit einem gewissermaßen ästhetischen Vergnügen die erstaunlichen dialektischen Kapriolen unseres Gastgebers zu bewundern, sowie die Hirnakrobatik, mit der die ihm assistierenden Parteigrößen logische Begründungen dafür suchten, daß sie nunmehr das genaue Gegenteil von dem sagten, was sie gestern noch und all die Jahre vorher mit großer Entschiedenheit behauptet hatten.
Während der stundenlangen Debatte mußte ich einmal laut auflachen. Ich hoffe, man hat mir diese Unhöflichkeit nicht übelgenommen, zumal ich sie sofort ehrlich damit erklärte, daß ich plötzlich die Zwangsvorstellung hatte, in die Turnhalle meiner Schulzeit zurückversetzt zu sein und an jenem »Rundlaufapparat« mitzuschwingen, der für mich immer das unerfreulichste Requisit der Turnstunde war.
Zu jenem letzten »Volksfront«-Abend erschien die gesamte in London anwesende KPD-Prominenz, also auch die paar ehemaligen Abgeordneten und Funktionäre, die sich offiziell zu ihrer Parteizugehörigkeit bekannten.
Aber ich glaube nicht, daß es ihnen gelungen ist, selbst die jüngsten ihrer Hörer in der zweiten Emigrantengeneration sofort von der »Neuen Linie« zu überzeugen; dazu werden sie wohl mit der ihnen eigenen Geduld und Zähigkeit noch viele weitere »Rundlaufübungen« benötigt haben.
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Weder der Russenpakt noch die »Neue Linie« waren überzeugend
Zunächst konnten selbst alte Parteileute, die sich eine Spur ihres eigenen gesunden Menschenverstandes bewahrt hatten, weder den Russenpakt noch die »Neue Linie« schlucken.
Ich denke dabei an einen bestimmten Fall, der mir damals menschlich nahe ging und politisch zu denken gab. Es handelte sich um eine Frau, deren Namen ich nicht nennen will; ich weiß zwar nicht, ob sie noch lebt, aber ich nehme an, daß ihre (damals halbwüchsigen) Kinder heute (in den 1960er Jahren) in der DDR in Amt und Würden sind, und ich möchte sie nicht kompromittieren.
Der Vater dieser Kinder, ein ehemaliger hoher KPD-Funktionär, war in Buchenwald zu Tode gequält worden. Als einige Monate später der Russenpakt unterzeichnet wurde und seine Witwe die mit der üblichen Überschwenglichkeit formulierte Erklärung Stalins hörte - es war darin vom »gemeinsam vergossenen Blut unserer Völker« die Rede - da fragte sie: »Was meint er denn damit? Meint er etwa das Blut meines Mannes?«
Sie fragte das mit einer Bitterkeit, die mir nur zu begreiflich schien. Die anwesenden Parteigrößen freilich dürften es als eine für eine alte Parteigenossin höchst ungehörige Frage verurteilt haben. Ich kann nur hoffen, daß man ihr die Ungehörigkeit nicht allzulange verübelt hat.
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