1956 Januar - Schwarzhören, Schwarzsehen, Schwarzsenden
Von Zeit zu Zeit veröffentlichen die Rundfunkanstalten Berichte über verurteilte Schwarzhörer. Über ertappte Schwarzseher schweigt man sich meistens aus, denn hier sind die Tatbestände oft sehr kompliziert. Verurteilte Schwarzsender liefern dagegen willkommenes Material für sensationell aufgezogene Artikel der Boulevard-Presse. Wie es auch sein mag: wer ,in flagranti* ertappt wird, kann mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Die Folgen sind für den Sünder in allen Fällen höchst unangenehm, und Geldstrafen sowie Einzug der benutzten Geräte sind keine Seltenheit.
In der Öffentlichkeit ist es viel zuwenig bekannt, wie viele Schwarzhörer es tatsächlich gibt. Gewisse Anhaltspunkte können Veröffentlichungen mit etwa folgendem Wortlaut bieten: „Im Sendegebiet wurden in den letzten Tagen insgesamt zehn Anzeigen gegen Schwarzhörer erstattet. Drei der Beschuldigten wurden zu Geldstrafen verurteilt. In drei Fällen ist außerdem das Empfangsgerät eingezogen worden. Gegenwärtig laufen noch 44 Verfahren gegen Schwarzhörer." Ganz besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das Resultat einer vom Soziografischen Institut, Frankfurt (Main), durchgeführten Hörerbefragung, nach der 10 bis 20%(!) der Geräte nicht angemeldet sein sollen. Bei dieser Statistik waren 32 sogenannte Nachbarschaften zu je 20 Haushalten erfaßt.
Nicht jeder Schwarzhörer ist böswillig. Häufig handelt es sich um Personen, die gar nicht wissen, daß sie Schwarzhörer sind. Die Gebührenbestimmungen sind vor allem für einen Personenkreis, den man als weltfremd bezeichnen muß, relativ kompliziert. Erst kürzlich wurden durch die Definition des Begriffs „Rundfunkhaushalt" klarere Verhältnisse geschaffen (FUNK-TECHNIK Bd. 10 (1955) Nr. 24, S. 711).
Demnach darf ein Rundfunkteilnehmer in seiner Wohnung, die in der Genehmigungsurkunde genau bezeichnet ist, innerhalb seines Privathaushaltes mehrere Rundfunkgeräte gleichzeitig betreiben. Zur Wohnung rechnet man auch die auf demselben Grundstück gelegenen Hof-, Garten- und ähnlichen Anlagen. Rundfunkteilnehmer, die auf verschiedenen Grundstücken Rundfunkempfänger betreiben, müssen also für Empfänger auf jedem Grundstück mindestens je eine Rundfunkgenehmigung haben. Die neue Begriffsbestimmung des Rundfunkhaushaltes zeigt gegenüber früher gewisse Änderungen. Während früher zum Rundfunkhaushalt alle in der Wohnungsgemeinschaft lebenden Familienangehörigen zählten, gehören jetzt nur noch die vom Rundfunkteilnehmer wirtschaftlich abhängigen Familienmitglieder dem Rundfunkhaushalt an. Im Zweifelsfalle liegt wirtschaftliche Abhängigkeit dann vor, wenn das Einkommen die von den Sozialbehörden erlassenen Richtsätze für die Rundfunkgebührenbefreiung aus sozialen Gründen nicht überschreitet.
Nach der neuen Auffassung der Bundespost gehören demnach Untermieter, Hausangestellte und andere Personen nicht zum Rundfunkhaushalt, auch wenn sie in Wohngemeinschaft mit dem Rundfunkteilnehmer leben. Betreiben sie ein eigenes Rundfunkgerät, so gelten sie als eigener Haushalt und bedürfen demnach einer eigenen Rundfunkgenehmigung.
Es ist nicht immer einfach, die Gebührenbestimmungen der technischen Entwicklung anzupassen. Ein beträchtlicher Teil der Schwarzhörer entfällt z. B. auf das Konto der transportablen Empfänger. Kofferempfänger verlangen meistens eine zweite Rundfunkgenehmigung, wenn sich in der Wohnung noch ein Heimsuper befindet. Zu Hause können natürlich Kofferradio und Heimempfänger gleichzeitig betrieben werden, ohne daß für den Koffer eine besondere Genehmigung erforderlich ist. Sobald aber ein Familienmitglied mit dem Reisesuper ins Wochenende fährt und gleichzeitig zu Hause Rundfunk gehört wird, liegt bei nur einer Rundfunkgenehmigung schon der Tatbestand des Schwarzhörens vor.
Ähnlich verhält es sich mit dem Rundfunkempfang im Kraftwagen. Vor allem Geschäftsleute, die häufig unterwegs sind, glauben, daß die Rundfunkgenehmigung für den Heimempfänger gleichzeitig auch für den Autosuper gilt. Werden jedoch Autoempfänger und Heimsuper gleichzeitig betrieben, so haben wir es auch hier wieder mit Schwarzhören zu tun. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Hierzu gehören z. B. der Junggeselle und andere alleinstehende Personen, die glaubhaft nachweisen können, daß, während sie auf Reisen sind, in der Wohnung nicht Rundfunk gehört werden kann.
Unter den Rundfunkhörern herrscht oft Unklarheit, wann der Tatbestand des Schwarzhörens erfüllt ist. Die Rundfunkanstalten starten daher von Zeit zu Zeit Werbeaktionen, und man hat sogar schon Schwarzhörer-Amnestien mit gutem Erfolg veranstaltet. Es gibt auch Fälle, in denen reumütige Schwarzhörer anonym nachträglich Rundfunkgebühren für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren an die Post gesandt haben. Was tut aber die Post, wenn sie von Schwarzhörern erfährt? Die Maßnahmen sind je nach Fall verschieden. Im allgemeinen fordert sie den Schwarzhörer brieflich auf, das Rundfunkgerät anzumelden und eine Pauschalsumme sofort oder in Raten nachzuzahlen. Die Höhe der Nachzahlung richtet sich nach dem Zeitraum des Schwarzhörens. Mit diesem Verfahren erklären sich die meisten festgestellten Schwarzhörer einverstanden. Die Unverbesserlichen allerdings — sie sind erfreulicherweise in der Minderzahl — machen mit dem Staatsanwalt Bekanntschaft.
Wenn alle Ermahnungen erfolglos bleiben, stellt die Post Strafantrag, und es kommt dann auf der Grundlage des Fernmeldeanlagengesetzes zu einem rechtskräftigen Urteil. Im Vergleich zur Gesamtzahl der Rundfunkteilnehmer sind diese Strafverfahren verhältnismäßig selten. Immerhin kann die Statistik jährlich einige Dutzend solcher Fälle nachweisen.
Über die Anzahl der Schwarzseher veröffentlichte die Tagespresse im letzten Jahr außergewöhnlich hohe Ziffern. Sie ergeben sich aus dem Vergleich der von der Industrie bekanntgegebenen Absatzziffern mit der Fernsehteilnehmerzahl. Es soll an dieser Stelle zu diesen Schätzungen kein Kommentar gegeben werden. Aber eines steht fest: Der Prozentsatz der Schwarzseher liegt wesentlich über dem Schwarzhöreranteil. Bei der Beurteilung der Sachlage muß man berücksichtigen, daß der Fernsehrundfunk schon vor der Einführung der Fernsehgebühren bestand und sich mancher Fernsehteilnehmer an den damals gebührenfreien Empfang gewöhnt hat. Die Sonderlizenz für Rundfunk- und Fernsehhändler berechtigt dazu, Fernsehempfänger zu Vorführzwecken vorübergehend in der Wohnung des Kunden aufzustellen. Der Händler darf dabei aber nicht die vorgeschriebene Meldung an das zuständige Postamt übersehen, wenn der Kunde nicht Gefahr laufen soll, schon jetzt als Schwarzseher betrachtet zu werden.
Verschiedene Rundfunkanstalten versuchten aufklärend zu wirken und ähnlich wie beim Hörrundfunk durch geschickte Werbung auf die Gebührenpflicht hinzuweisen. Eine größere Anmeldefreudigkeit konnte in Gebieten festgestellt werden, in denen Meßgeräte zur Standortermittlung von Fernsehempfängern eingesetzt wurden. Es besteht kein Zweifel über die große Bedeutung, die der Gebührenfrage beim Aufbau des Fernsehens zukommt.
Etwas anders liegen die Beweggründe des Schwarzsenders. Es mag Jugendliche geben, denen die gesetzlichen Bestimmungen und insbesondere das Gesetz über den Amateurfunk vom 14. März 1949 wirklich unbekannt sind. Aber sehr oft ist es die Scheu vor der Sendelizenz-, insbesondere vor der Morseprüfung, die den jungen Techniker oder Funkfreund zum Schwarzsender werden läßt.
d.