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Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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(31) Eine neutrale Heimat

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Ein Traum ... Ich sitze in einem Zug, der durch Australien rast

Ich erzählte Freunden öfter: „Da hab' ich gestern nacht einen Traum gehabt. Ich sitze in einem Zug, der durch Australien rast. Zusammenstoß mit einem anderen Zug. Panik, Schreie, Feuer. Ich trage mit letzter Kraft eine bewußtlose Dame aus unserem Abteil ins Freie. Nach einiger Zeit öffnet sie die Augen und sagt: Eigentlich bin ich Soubrette in Basel!"*

Natürlich habe ich so einen Traum nie gehabt. Ich erzähle ihn nur als selbstironischen Kommentar zur Tatsache, daß ich so oft in meinem Leben mit Schauspielerinnen zu tun hatte. Ich hielt das lange für einen Zufall, aber heute weiß ich, daß es keiner ist. Sondern: das hängt mit meiner frühen Liebe zum Theater - an sich, nicht unbedingt zu Schauspielerinnen - zusammen.

Diese Welt des Theaters, in die ich selbst nie eintreten wollte, rückte mir auf diesem, wenn man will Umweg, immer wieder ganz nahe.

Aber die Ehe mit Heide war doch ein ganz neues Erlebnis für mich. Da ist man nun - mehr oder weniger - den ganzen Tag zusammen, allerdings nur theoretisch, denn ich schreibe ja, und das muß man allein tun; und abends sitzt man im Zuschauerraum und sieht seine Frau, die eigene Frau, und sie ist doch eine ganz andere Frau, nämlich diejenige, die ein Dichter sich ausgedacht hat.

Da sitzt man in ihrer Garderobe und sieht mit fast ungläubigen Augen, wie sich die eigene Frau in eine Unbekannte verwandelt. Dabei überlegt sie - laut - was es morgen zum Mittagessen geben könnte und was ich dem Mädchen, falls sie selbst morgen länger schlafen will, über die noch zu tätigenden Einkäufe ausrichten soll. Und gleich darauf hör ich sie, wie mir scheint mit einer ganz anderen Stimme, griechische Götter anflehen oder auf berlinerisch um ihr Kind kämpfen, das gar nicht das ihre ist, oder sich einem Mann in die Arme werfen, für den sie zu sterben bereit ist.

Das seltsame: Ich weiß, daß sie spielt, und erkenne doch ihre Stimme und oft auch sie selbst nicht mehr; ich weiß, daß sie als Königin die Bühne betreten hat, und sehe nicht mehr die Frau, die sich soeben entschlossen hat, daß es morgen Schnitzel und Spaghetti geben soll. Und nach einer Rede über die Sinnlosigkeit des Lebens wird sie abtreten und mich fragen: „Vielleicht doch lieber gefüllte Paprikaschoten?"
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Das Kabel lautete: „Ziehe sofort nach Bern oder Paris ..."

Die Übersiedlung von Berlin nach Zürich hatte einen ganz anderen Grund als den des Engagements meiner Frau ans Zürcher Schauspielhaus, das später mehr zufällig kam. Ich erwähnte schon die Schwierigkeiten durch die USA, die uns vor unserer Verheiratung gemacht wurden. Nun kamen andere hinzu.
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Mein alter Freund Arnold Gingrich vom „Esquire", der übrigens längst von Chicago nach New York umgezogen war, meldete sich mit einem Kabel: „Ziehe sofort nach Bern oder Paris. Stop. Brief folgt. Stop. Esquire. Gingrich."

Ich hatte nach dem Krieg beim „Esquire" die Stellung eines Leiters des europäischen Büros übernommen. Das Büro existierte eigentlich gar nicht im physischen Sinn. Das Büro - das war ich. Gute Bezahlung, nicht allzu viel Arbeit.

Im wesentlichen Vorschläge von Artikeln oder auch nur von Themen, die in Europa publiziert wurden. Arnold fand schließlich, daß dies sich von Berlin aus nicht mehr machen lasse.

Seine Vorschläge: Paris oder Bern - letzteres wohl, weil Bern die Hauptstadt der Schweiz war; daß die intellektuelle Hauptstadt Zürich war, wußte man in Amerika nicht so genau.

Paris kam für uns beide nicht in Frage. Dort hätte ja Heide ebensowenig arbeiten können wie in Amerika selbst. Ich schlug anstelle von Bern Zürich vor. Das wurde akzeptiert.
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Scheuren auf der Forch - über dem Greifensee

Ich fuhr erst einmal hin, lebte ein paar Monate in einem Hotel, suchte und mietete ein Haus in Küsnacht am Zürichsee, später ein noch nicht ganz fertiggestelltes Haus in Scheuren auf der Forch, einem Dorf von rund fünfhundert Einwohnern, etwa zehn Kilometer von der Stadt entfernt auf einem Hügel, über dem Greifensee gelegen. Wir kauften das Haus innerhalb von Minuten - und leben seither dort.
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Heide ging also ans Schauspielhaus nach Zürich.

Natürlich immer nur für einen Teil des Jahres und für ein oder zwei Rollen pro Saison.

Gleich ihr erstes Auftreten in Zürich wurde eine Sensation: die Uraufführung von „Requiem für eine Nonne" von Faulkner. Alle hielten das Stück für unaufführbar, in Amerika sowie in Deutschland, übrigens auch Heide, die schließlich nur einwilligte, weil sie so viele andere Rollen vorher abgelehnt hatte und nicht den Eindruck erwecken wollte, sie sei schwierig und sie wolle vielleicht gar nicht in Zürich spielen.

In diesem Stück, in dem ihre Rolle allein eine Spieldauer von über zwei Stunden beträgt, gibt es eine Szene, in der sie, nur gelegentlich von ihrem Onkel oder dem Gouverneur eines amerikanischen Südstaates unterbrochen, fünfundvierzig Minuten zu sprechen hat.
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Fünfundvierzig Minuten - Auf der Bühne eine Ewigkeit!

Wer kann schon fünfundvierzig Minuten lang sich das Interesse des Publikums erhalten, fünfundvierzig Minuten, in denen nichts an Handlung vor sich geht, in denen nur erzählt wird, erzählt wird, erzählt wird ... Bis es dunkel wird und dann wieder hell. Und die große Pause beginnt.

Die Sache mit den fünfundvierzig Minuten hatte sich in Zürich schon vor der Premiere herumgesprochen. In der großen Pause suchte ich, indem ich mir meinen Weg durch das Publikum bahnte, zu erfahren, wie die Stimmung sei. Ein Bekannter hielt mich fest: „Sagen Sie, wann kommen denn nun eigentlich die fünfundvierzig Minuten, von denen man so viel hört?"

Er hatte nicht gemerkt, daß sie gerade vorbei waren. Ich eilte in Heides Garderobe: „Keine Sorge! Die Schlacht ist gewonnen!" Sie war es. Das „Requiem für eine Nonne" wurde durch zwei Spielzeiten gehalten - eine Seltenheit für Zürich.
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Heide spielte auch in Berlin .......

......, im Renaissance-Theater unseres gemeinsamen Freundes Kurt Raeck. Sie spielte in Wien, zuerst im Volkstheater, später am Burgtheater, wo sie eine kleine Sensation wurde: „Die aus der Fremde zurückgekehrte Einheimische".

In Wien wußte man übrigens erstaunlich wenig von ihr. Dort war völlig unbekannt, daß und was sie in Deutschland gespielt hatte. Man kannte nur ihre Filme, und ich erinnere mich, daß der damals bekannteste Kritiker Wiens schrieb: „Es ist schade, daß eine Frau, die so viel kann, anstatt Klassiker zu spielen, nur mittelmäßige Filme macht!"

Dabei hatte sie immerhin an den ersten Bühnen Deutschlands, vor allem an den Kammerspielen München, bei Gründgens in Berlin und später bei Stroux in Düsseldorf so ziemlich alles gespielt, was an Klassikern anfiel.
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Der Abstieg des deutschen Films war bereits eingeleitet

Sie spielte auch weiterhin bei Gründgens in Hamburg, sie machte Filme, so lange man das, ohne sich allzu viel zu vergeben, tun konnte.

Denn die Zeiten waren dem deutschen Film nicht günstig - oder sollte man sagen, der deutsche Film wurde rapid schlechter und schlechter.
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Erich Maria Remarque rief an - er habe eine Idee

Eines Tages rief mich Erich Maria Remarque an, der wieder in seinem mit Kunstschätzen vollgepfropften Haus am Lago Maggiore lebte. Er war gerade nach Zürich gekommen.

Er sagte: „Ich habe ein Stück geschrieben. Mein erstes. Ich denke, es wäre eine gute Rolle für die Dorsch. Jemand hat mir erzählt, daß Sie sehr mit ihr befreundet sind."
„War! Das war einmal! Aber erzählen Sie mir einmal von dem Stück."

Er tat es. Es handelte sich um das, was eine Berlinerin am letzten Tag des Krieges erlebt und am ersten Tag nach dem Krieg. Sie verliebt sich in einen entflohenen KZ-Sträfling und verbirgt ihn. Am Tag, an dem der Krieg nun also vorbei ist, will der SS-Mann, der den KZ-Sträfling bei ihr gesucht hat, nun seinerseits von ihr versteckt werden. Aber er kommt um.
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Ich sagte: „Die Dorsch ist über sechzig."

Er war sprachlos. Er hatte sie noch in Erinnerung, wie sie vor der Emigration gewesen war - als fast junges Mädchen. Ich sagte: „Ich glaube, ich hätte eine Schauspielerin für Sie."

Am nächsten Abend saß er im „Requiem". Dann aßen wir zu dritt zu Abend. Bei der zweiten Flasche Champagner erklärte Remarque, nur Heide könne sein Stück spielen. Bei der dritten Flasche duzten wir uns.

Das Stück wurde ein starker Erfolg am Berliner Renaissance-Theater.
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Bei Remarque's Lebenswandel gings jetzt ans Bezahlen

Wir blieben mit „Beni", wie wir Remarque nannten, befreundet. Ich sah ihn oft. Bis zuletzt. Er mußte schließlich dafür bezahlen, daß er sein Leben ziemlich rücksichts- und schonungslos gelebt, daß er vor allem viel zuviel getrunken hatte.

Er hörte zu spät damit auf. Angina pectoris (Die koronare Herzkrankheit). Er kam in eine Zürcher Klinik, nur ein paar Kilometer von uns entfernt. Er litt furchtbar. Die Ärzte hatten ihn längst aufgegeben.

Und er wußte es. „Die können mir nicht helfen!" sagte er, als ich ihn das letzte Mal besuchte. Es war eine ganz nüchterne Feststellung. Ein paar Wochen später war er tot.

Einige, auch ich, waren zur Beerdigung ins Tessin gereist, und unzählige Sightseeing-Touristen waren aus dem benachbarten Ascona und aus Locarno gekommen, um das Ereignis zu knipsen.
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Der große deutsche Schriftsteller war in Deutschland vergssen

Aber keine amtliche deutsche Stelle hatte sich gemeldet oder gar Blumen geschickt, wie ja auch nie ein Versuch gemacht worden war, diesem großen deutschen Schriftsteller, der von Hitler ausgebürgert worden war, wieder die deutsche Staatsbürgerschaft anzutragen.

 Was ihn sehr geschmerzt hat.

Eines Tages erzählte mir die Witwe des bekannten Operettenkomponisten Ralph Benatzky, die reizende Melany Benatzky, die nach der amerikanischen Emigration seit vielen Jahren in Zürich lebte, sie müsse ihre Freundin Ellen Richter treffen.

Ellen Richter. Der Name hatte mir in meiner Jugend etwas bedeutet. Ich sagte, ich würde mich freuen, Frau Richter kennenzulernen. Das war einfach. Sie wohnte in einem sehr eleganten Hotel nahe der Oper.

Als ich ihr vorgestellt wurde, starrte ich sie fasziniert an. „Kennen wir uns nicht von früher?"
„Ich wüßte nicht . . ."

Eine kleine Dame, nicht mehr jung, aber sehr gut konserviert, mit kohlrabenschwarzem Haar - später erfuhr ich, daß es sich um eine Perücke handelte. „Sie haben sicher einen meiner Filme gesehen . . ."
„Ohne Zweifel."
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Es war eine Verwechselung mit der Frau des Kinodirektors .... als ich 14 Jahre alt war

Sie hatte unzählige Filme gemacht, sie war eigentlich die zweite Frau im deutschen Stummfilm, gleich nach Henny Porten. Die spielte die blonden, guten, lieben Mädchen oder Frauen, die Richter spielte die eleganten, nicht ganz einwandfreien Damen: Spioninnen, Mätressen, Verführerinnen - kurz, sie war das, was man in Hollywood einen Vamp nannte.

Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich habe ich viele Ihrer Filmegesehen. Aber das ist es nicht. Wir haben uns besser gekannt."
„Schade, daß Sie mir das nicht vor dreißig Jahren gesagt haben."

Plötzlich ging mir ein Licht auf. „Sie haben in meinem Leben eine große Rolle gespielt!" Und ohne ihr Zeit zu lassen, ihr Erstaunen zu äußern: „Erinnern Sie sich an den Film mit dem Titel ,König Motor'?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe in den zwanziger Jahren so ungefähr acht Stummfilme pro Jahr gedreht."
„Es war viel früher. Es war mitten im Ersten Weltkrieg."
„Aber ich erinnere mich nicht. König Motor . . .?"
„Ja, so hieß der Film. Und er wird mir ewig unvergeßlich sein."
„War ich denn wirklich so gut in diesem Film?"
„Sie nicht. Eine andere Dame."
Später, als wir gute Freunde geworden waren, erzählte ich ihr einmal die absonderliche Geschichte von „König Motor" und der Frau des Kinodirektors, die mich "so manches" gelehrt hatte.
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Heidemarie Hatheyer eilte von Erfolg zu Erfolg

Die fünfziger Jahre, in denen Heidemarie Hatheyer von Erfolg zu Erfolg eilte, waren auch für mich recht ergiebig. Ich sprach schon davon, daß ich für die große Illustrierte „Quick" eine Art Serienspezialist geworden war.

Und auch für andere Illustrierte, die es damals in rauhen Mengen gab. Ich schrieb zeitweise unter zwölf Pseudonymen und unter meinem eigenen Namen, also dreizehn im Ganzen. Ich war abergläubisch und wollte nicht weiter gehen.

Einmal schrieb ich sieben Serien gleichzeitig. Das bedeutete, daß ich jeden Tag, also auch am Sonntag, eine Folge verfertigen mußte und ständig davor zitterte, ich könnte erkranken. Selbst zwei oder drei Tage Pause hätten den ganzen Fahrplan, und nicht nur den meinen, durcheinandergebracht.

Ich schwor mir, das sollte nie wieder geschehen. Aber auch zwei oder drei Serien gleichzeitig waren keine Seltenheit für mich.

Ich hatte aus der Arbeit in Amerika nichts gelernt. Es ging mir immer noch um Selbstbestätigung, nicht durch Qualität, sondern durch Quantität.
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 - die Geschichte des deutschen Films bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Wie es dazu kam? Ich hatte einen Vertrag mit dem „stern". Aber alle Vorschläge, die ich machte, gefielen dem instinktsicheren Chefredakteur Henri Nannen nicht, und seine sagten mir nicht zu.

Schließlich kam Nannen mit der Idee der Filmgeschichte. Ich meinte, dies sei doch schon so oft gemacht worden. Das wußte er natürlich auch. „Aber für zwölf Folgen wird's ja gehen - bis wir etwas Besseres finden."

Es wurden sechsundneunzig Folgen. Die Leser konnten nicht genug bekommen. Auch das Buch war ein Schlager. Die ersten 25.000 Exemplare - mehr wurden für den Anfang nicht gedruckt - waren am Tag der Auslieferung ausverkauft; das war Ende der 19fünfziger Jahre schon etwas.
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Henri Nannen, einer der gescheitesten Journalisten Europas

Ich habe dann viel mit Nannen gemacht, den ich für einen der gescheitesten Journalisten Europas halte, obwohl wir in vielem nicht gerade einer Ansicht sind, besonders wenn es um Politisches geht.

Er war nicht ohne Schwierigkeiten und machte viele - aber er war ein großer Könner. Und er verfügt über ein Team von Könnern - Victor Schuller, sein Vize, lange an der Spitze.
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Der größte Zeitungsmann unserer Tage war Axel Springer

Den vermutlich größten Zeitungsmann unserer Tage, wenigstens nach meiner Meinung, Axel Springer, lernte ich verhältnismäßig spät kennen, als er die ,„Welt" kaufte, für die ich schon vorher oft schrieb, und die „Welt am Sonntag", für die ich am laufenden Band arbeitete.

Axel Springer war damals mit vielen Blättern und Zeitschriften bereits arriviert. Unsere Treffen waren meist zufällig und ohne besondere Bedeutung - wie mir anfangs erschien.

Bald wurde mir klar, daß er sehr aufmerksam zuhören konnte. Er war voller Ideen, kam sich aber nicht zu gut vor, die Ideen anderer zu akzeptieren. Er besaß und besitzt eine Eigenschaft, die nach meiner Ansicht nur wirklich große Männer besitzen: Es ist nicht schwer, an ihn heranzukommen.

Das war auch bei Churchill der Fall gewesen und bei Roosevelt, und jetzt eben bei Axel Springer. Wenn ich bedenke, wie schwierig es ist, an einen Mann in Bonn heranzukommen, der nicht halb so bedeutend ist, wie er sich vorkommt, und um wie vieles leichter, mit Axel Springer zu telephonieren ...
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Niemand ist ja gezwungen, seine Zeitungen zu lesen.

Ich schreibe dies alles, weil Axel Springer zu den umstrittensten Männern, zumindest Zeitungsmännern unserer Zeit gehört. Warum? Weil er eine Politik treibt oder treiben läßt, die, sagen wir, recht liberal ist. Und wenn schon!

Niemand ist ja gezwungen, seine Zeitungen zu lesen. Aber - und dies nimmt man ihm vielleicht noch übler als seine politische Haltung: die meisten seiner Blätter gehören zu den erfolgreichsten im deutschen Sprachgebiet.

Der Herausgeber des „Spiegel" (Rudolf Augstein) hat - offenbar in einem Anfall von Schwachsinn, allen Ernstes gefordert, man solle Springer enteignen.
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Und warum sind Springer-Zeitungen so erfolgreich

....., warum gehen die Auflagen seiner Blätter in die Millionen? Ist das Zufall? Hat das nicht mit dem außerordentlichen journalistischen Instinkt des Mannes zu tun?

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Niemand ist ja gezwungen, Springer-Erzeugnisse zu lesen!

Übrigens war ich in jenen Jahren nicht so sehr journalistisch beschäftigt, als vielmehr mit dem Schreiben von Büchern. Natürlich ging manches daneben, aber viele meiner Bücher- und dieses Buch ist alles in allem, mit Einschluß der englischen und französischen, das dreiundachtzigste - konnten doch einen gewissen Erfolg verzeichnen.
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Einen entscheidenden Fehler machte ich.

Ich konzentrierte mich fast nur noch auf Deutschland, kümmerte mich nicht mehr um Frankreich, wo ich einen Namen gehabt hatte, und auch nicht mehr um Amerika. Dort war ich ja wirklich sehr erfolgreich gewesen, und wenn es nach dem Krieg Enttäuschungen gegeben hatte, ich wäre doch wieder „gekommen", wie meine amerikanischen Verleger mir wiederholt versicherten, die unmutig darüber wurden, daß ich nach dem „Goebbels" und der „Berlin-Story" nichts mehr lieferte.

Rückblickend verstehe ich mich eigentlich selbst nicht mehr. Meine einzige berufliche Bindung an die USA waren - neben dem „Esquire" - jährlich zwei Fernsehspiele.

Das ging so vor sich: Ich flog hinüber, besprach mit der Gesellschaft ein Thema, lieferte nach vier oder fünf Wochen, von Europa aus, das Drehbuch, kam einen weiteren Monat darauf wieder nach New York zurück und nahm zur Kenntnis, was man an Änderungen wünschte.

Ich setzte mich vierzehn Tage mit einem anderen Mitarbeiter in ein Hotelzimmer, änderte, schrieb um, besprach ein neues Thema, flog wieder nach Europa zurück, schickte mein Manuskript vier Monate darauf nach drüben.

Das ging viele Jahre so, brachte gutes Geld - und das Beste: ich mußte nie sehen, was ich da fabriziert hatte; übrigens unter einem Pseudonym. Das bröckelte nun auch langsam ab.

Was nicht bedeuten soll, daß ich jeden Kontakt mit den USA verlor. Ich fuhr auch später immer wieder hinüber, etwa einmal im Jahr oder doch jedenfalls einmal alle zwei Jahre.
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Den amerikanischen Paß verlängern ? brauchte ich nicht.

Nicht daß ich, wie viele andere naturalisierte Amerikaner, dazu gezwungen war, wenn ich meinen US-Paß nicht verlieren wollte. Den bekam ich, wann immer ich darum nachsuchte, von den zuständigen Konsulaten anstandslos ausgehändigt.

Weil ich Kriegsteilnehmer war? Aber woher wußten das die Konsulatsbeamten in Zürich oder in Paris oder in Berlin? Weil ich mich im Krieg besonderen Risiken unterzogen hatte? Aber wer konnte das ahnen?

Übrigens hätte ich nie um des Passes, das heißt der Staatsangehörigkeit willen Reisen nach drüben unternommen und die für naturalisierte Bürger „vorgeschriebene" Zeitspanne dort verbracht. Ich fand das unwürdig und teilte das auch einmal - gelegentlich eines amerikanischen Besuches - Murphy mit, der wie Clay in die Privatindustrie übergesiedelt war. Ich fand auch, daß ich genug für Amerika getan hatte, um meinen Paß zu verdienen.

Übrigens wurde in den 1960er Jahren ein diesbezüglicher Prozeß von einer Emigrantin geführt, und das Oberste Gericht in Washington stellte fest, daß auch naturalisierte Amerikaner, also unter anderem auch die Hitler-Emigranten, ihre Pässe, die man ihnen, wenn sie dem Lande über die gestellte Frist hinaus ferngeblieben waren, abgenommen hatte, wieder zurückbekommen müßten.

Ein Züricher Konsulatsbeamter erzählte mir, in den folgenden Wochen wäre die Hölle in amerikanischen Konsulaten in aller Welt losgebrochen. Sie hätten Tausende und Tausende von Pässen neu ausschreiben müssen. - Ich fand, dies geschehe ihnen ganz recht.
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Aber ich habe von meinen gelegentlichen Reisen in die USA gesprochen.

Drüben lebte immerhin mein Sohn aus erster Ehe, Michael, der Ingenieur geworden und im Pentagon tätig war. Er dürfte sich da bewährt haben - wofür allein sein Gehalt, das eines Brigadier-Generals, sprach. Reden konnte er mit mir nicht darüber, was er tat. Ganz abgesehen davon, daß ich von diesen Dingen - missiles und überhaupt Elektronisches - nichts verstand: alles war streng geheim.

Später verließ Michael dann das Pentagon und nahm eine Stelle in der Privatindustrie an. Dort hatte er wenig Glück, denn die betreffende Firma ging bald in Konkurs. Er versuchte sich in anderen Industriezweigen. Mein Einwand, er habe doch, zum Beispiel, die Herstellung von Papier nie erlernt, es sei schwer vorstellbar, wie er eine Papierfabrik leiten könne, galt bei ihm nicht.

Seine Antwort: Das möge für Europa stimmen, in Amerika sei es eben anders. Auch wurde er mit mir sehr böse, als ich, noch zu seiner Pentagon-Zeit, Zweifel am amerikanischen Endsieg in Vietnam äußerte. Dergleichen wollte er, überzeugt, „wir werden in wenigen Wochen siegen", gar nicht gehört haben.

Wir: Michael ist eben wie viele Amerikaner der zweiten Generation amerikanischer als die meisten Amerikaner, die auf ungezählte amerikanische Vorfahren zurückblicken dürfen; und erlebt die Tragödie so vieler jungen Amerikaner, zum Beispiel der aus der elektronischen Industrie: sich plötzlich auf der Straße zu finden und etwas tun zu müssen, wofür er keine wie auch immer geartete Vorbereitung erhalten hat.
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In der Hoffnung, daß Michael dieses Buch nicht liest:

Mir gefällt es drüben nicht mehr so gut. Gewiß, überall ändert sich ständig alles, und fast nie zum Besseren, geschweige denn zum Guten. Aber für die an Ort und Stelle Lebenden wird das nicht so spürbar.

  • Anmerkung : Michael Riess ist in 2007 vestorben.

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Berlin ändert sich, New York und Hollywood auch .....

Meine Berliner Freunde spüren nicht, daß Berlin immer kleiner, immer provinzieller wird. Ich fühle es manchmal, aber nicht so stark wie die Menschen, die seit zwanzig oder vierzig Jahren nicht mehr dort gewesen sind.

New York, viele Jahre lang meine Lieblingsstadt, ist für mich zu laut und zu hektisch geworden. Oder Hollywood, will sagen das, was unter diesem Sammelbegriff zu verstehen ist. Das war doch noch in den 1930er Jahren eine Art Gartenstadt.

Jetzt ist es eine Industriestadt geworden. Die berühmte kalifornische Sonne ist fast immer vom Smog zur Gänze verdeckt, um nicht zu sagen verdreckt.

Als ich vor kurzem mit Billy Wilder auf dem Dachgarten des imposanten Apartmenthauses spazierenging, dessen oberstes Stockwerk er bewohnt, wies er auf die tief unter uns liegenden Straßen, in denen ein hektischer Verkehr vor sich ging: „Century-City! Erinnerst du dich! Dies war das Gelände der Twentieth-Century-Fox."

In der Tat: hier hatten noch 1940 oder 1945 die Cowboys die Indianer durch die menschenleeren Canyons und Felder und über die Hügel gejagt.
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Fritz Lang, der Unverwüstliche, fuhr mich zu seinem Haus.

Und erläuterte dabei: „Hier wohnte Douglas Fairbanks und Mary Pickford ... und hier Charlie Chaplin ..." - Wo sind sie jetzt? Wo ist die Garbo? Die Dietrich?

Ich lebe sehr gern in der Schweiz - der Schweiz wegen.

Ich hatte mein ganzes Leben gehofft, irgendwo an einem Ort zu leben, in welchem man nicht stets in den Mittelpunkt der Ereignisse geworfen wird. Etwa so: Man liegt auf einem Liegestuhl auf der Veranda eines Sanatoriums, hoch oben auf einem Berg. Unten im Tal eine Straßenschlacht in einem kleinen Ort.

Warum? - Irgend jemand erläutert: „Bürgermeisterwahl!"
Nur einen selbst geht das nichts an.
Die Schweiz: Sie ist zu klein, um eine Rolle im Weltgeschehen zu spielen. Ich selbst bin Ausländer, darf hier zwar alles tun, nur nicht wählen und nicht gewählt werden. - Na und?

Ich weiß nie, wer gerade Präsident des Bundesrats ist, der wechselt jedes Jahr. Ich weiß nur, daß er mit der Straßenbahn in sein Amt fährt und daß man ihn anrufen kann, denn sein Name mitsamt Adresse steht im Telephonbuch. Und entweder ist seine Köchin oder seine Frau am Apparat - oder er selbst.
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Und das war in den 1970er Jahren normal :

Einmal, vor vielen Jahren, waren meine Frau Heide und ich zur Einweihung der Junifestwochen in die Oper geladen. Neben uns in der Loge saß ein sehr distinguiertes älteres Ehepaar.

Wir grüßten, die anderen grüßten. Der Zürcher Stadtpräsident eröffnete die Feierlichkeiten mit einer kleinen Rede. Er begrüßte die anwesende Prominenz, vor allem als ersten den Präsidenten - wie hieß er doch gleich?

Beifall, in den, man ist ja höflich, wir mit einstimmten. Darauf beugte sich der distinguierte Herr in unserer Loge zu uns und sagte: „Danke!"
Wir saßen, ohne es gewußt zu haben, neben dem Präsidenten der Schweiz.
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